Oktober 4, 2024

Quo vadis Deutschland?

von Dieter Küchler

Deutschland als Exportweltmeister und viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt liegt im OECD-Ranking der Gehälter, Löhne, Renten und sonstigen Zuwendungen mit einem Netto-Durchschnittsverdienst von 1.398,- Euro auf Platz 12 von 34 Staaten.

Dabei ist die Produktivität der Wirtschaft in den 11 Ländern vor Deutschland mit der deutschen durchaus vergleichbar oder sogar niedriger.

Was läuft in Deutschland schief? Warum sind die unteren 60% der Nettoeinkommen in Deutschland in den letzten 30 Jahren relativ oder zum Teil sogar absolut zur gestiegenen Wirtschaftskraft gesunken? Warum erhalten die Menschen in Deutschland mittlerweile netto bis zu 50% weniger Einkommen als in der wirtschaftlich vergleichbaren Schweiz?

Um die Realität wirklich zu verstehen, muss man die politischen und ökonomischen Schwierigkeiten von Deutschland und der EU vorurteilsfrei betrachten.

Gerade hat uns der Brexit vor Augen geführt, dass die EU so nicht weiterfunktionieren kann und der französische Präsident Macron hat dies unterstrichen.

Wo liegen die Ursachen

Professor Lee Jones aus London formuliert die Probleme sehr treffend wie folgt:

„Die EU befindet sich inmitten einer tiefen, langanhaltenden und scheinbar endlosen politischen Krise. Alteingesessene Parteien und Institutionen werden diskreditiert, ausgehöhlt und durch populistische Bewegungen und Parteien im Mark erschüttert. Obwohl die Gründe dafür wohl auch in der globalen Finanzkrise 2007/8 und der Krise der Eurozone zu suchen sind, reichen die Wurzeln der Übel sehr viel tiefer.

(D)ie gegenwärtige Krise (ist) eine Reaktion auf einen Prozess der Entdemokratisierung, der seit Anfang der 1980er Jahren zu beobachten ist. Mit dem propagierten Ende des Unterschieds zwischen „Links“ und „Rechts“, der Niederlage der organisierten Arbeiterschaft und der schwindenden Bindekraft familiärer, nachbarschaftlicher, religiöser und zivilgesellschaftlicher Institutionen, haben sich die Bürger zunehmend ins Privatleben zurückgezogen.

Und die politischen Eliten haben sich zunehmend von den politischen Milieus entfremdet, deren Interessenvertretung sie ihre Existenz verdanken. Entstanden sind ununterscheidbare „catch-all“- Parteien, die allesamt von ununterscheidbaren Karrieristen geführt werden.“ /1/

Was ist zu tun

Prof. Andreas Nölke aus Frankfurt/Main drückt diese Tatsachen wie folgt aus:

„In Deutschland sind substantielle Teile der Bevölkerung ökonomisch abgehängt. Weitere Teile der Bevölkerung haben den Eindruck, massiv sozial unter Druck zu stehen oder zumindest erhebliche Ängste vor der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung. Trotzdem existiert keine politische Kraft, die die Vertretung dieser Menschen als ihre primäre Aufgabe ansieht.“ /2/

Und er präzisiert diese noch nichtexistierende Kraft wie folgt:

„Während allerdings die Kombinationen links-kosmopolitisch, rechts-kosmopolitisch und rechts-kommunitaristisch im deutschen Parteiensystem vertreten sind, fehlt eine links-kommunitaristische Kraft.“ /2/

Und zu den bestehenden Parteien Linke, Grüne, SPD, CDU, CSU, FDP führt er weiter aus:

„Alle (…) Parteien haben im Jahr 2015 die großzügige Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien begrüßt. Alle (…) Parteien unterstützen den Euro als gemeinsame Währung, trotz seiner massiven Krise und seiner katastrophalen Auswirkungen auf Südeuropa. Wir haben daher in vielen grundlegenden politischen Fragen seit Jahren nicht nur eine „große Koalition“, sondern eine „ganz große Koalition“, die eindeutig dem kosmopolitischen Lager zuzuordnen ist.“ /2/

„Die AfD bietet bisher als einzige Partei eine kommunitaristische Alternative, da sie sich klar gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung und auch gegen die gemeinsame Währung, dem eigentlichen Anliegen bei ihrer Gründung, stellt.“ /2/

„Im deutschen Parteiensystem fehlt (also) eine Partei, die linke Positionen in der sozialen Frage mit einer kommunitaristischen Haltung kombiniert. Alle Wähler, denen eine kommunitaristische Positionierung wichtig ist, sind bisher gezwungen, die AfD zu wählen, selbst wenn sie deren Extremismus und die wirtschaftsliberale Positionierung nicht teilen. Eine skeptische Haltung zu Fragen der unkontrollierten Migration, zur real existierenden EU und zur ungebremsten Globalisierung muss aber nicht mit dem Nationalismus und Rassismus der Rechtspopulisten einhergehen.“ /2/

Welchen Beitrag muss Aufstehen leisten

Prof. Nölke geht auch auf die inhaltlichen Anforderungen der neuen Bewegung ein:

„Besonders erfolgversprechend sollte eine links-kommunitaristische Position sein, wenn sie im Gegensatz zu den populistischen Parolen und Ressentiments der AfD praktisch realisierbare Alternativen formulieren kann. Ohne solche Alternativen läuft die linke (wie rechte) Kritik an den bestehenden Verhältnissen auf Dauer leer. Notwendig ist daher die Formulierung eines konkreten, positiven Projektes zur Verbesserung der Lebensumstände breiter Bevölkerungsgruppen. Damit ein solches Projekt auch politische Realisierungschancen hat, sollte es so formuliert werden, dass es nicht nur Verbesserungen für die Ärmsten der Armen bringt, sondern auch für andere Bevölkerungsgruppen, insbesondere die untere Mittelklasse, potentiell attraktiv ist.

Essentiell ist hier eine überzeugende wirtschaftspolitische Strategie, jenseits der Fokussierung auf Umverteilung durch den Sozialstaat. Auch eine bloße Ablehnung von starker Migration und dem Euro reicht dafür nicht aus, denn diese Ablehnung enthält noch kein positives Alternativprojekt.“ /2/

Es sollte unsere Aufgabe als Aufstehen Berlin sein, einen aktiven Beitrag zur Gründung einer solchen linkspopulären Partei zu leisten.

Zu diesem Artikel gibt es eine Erwiderung: RE: Quo vadis Deutschland?