von Andreas Butt-Weise
In der Bundesrepublik leben nach aktuellen Zahlen des Deutschen Kinderhilfswerks 20 Prozent der Kinder in Armut. Jedes sechste Kind unter sieben Jahren lebt in einer Hartz IV Bedarfsgemeinschaft. Als viertgrößte Wirtschaftsmacht der Welt belegt unser Land „im Armuts-Ranking“ unter Industriestaaten den 14. Platz hinter Tschechien, Spanien, Australien. Laut UNICEF leben insgesamt rund 1,1 Millionen Kinder und Jugendliche in relativer Armut. Relative Armut besteht, wenn das Nettoeinkommen eines Haushalts unter 60 Prozent des Durchschnittseinkommens liegt oder Sozialleistungen nach Hartz IV oder dem Asylbewerberleistungsgesetz bezogen werden.
der „normale“ Wahnsinn
mit Hartz IV
Jedes minderjährige Kind
hat, auch wenn es mit den Eltern in einer Hartz IV Bedarfsgemeinschaft lebt, Anspruch
auf Kindergeld: 204 Euro (für das 1.
und 2. Kind). Nun schreibt das Sozialgesetzbuch (§ 11 Abs. 1 SGB II) vor, dass
Kindergeld zum Gesamteinkommen der Bedarfsgemeinschaft zählt., was bedeutet,
dass Kindergeldleistungen auf andere Sozialleistungen wie Hartz IV „bedarfsmindernd“
angerechnet werden, wenn und solange das Kind im Haushalt lebt. Das ist die geltende
Rechtslage, die auch vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nicht bemängelt
wird. Das wir das als nicht gerecht und unfair betrachten, steht außer Frage, weil
damit die eh schon prekäre Lage der Hartz IV-Familie sich noch verschärft. Im
Ergebnis wirkt die Anrechnung wie eine Schlechterstellung gegenüber Kindern und
Familien, die nicht auf Sozialleistungen angewiesen sind.
Doch wie viel Hartz IV steht einem Kind nun zu?
Um das Dilemma zu verdeutlichen, hier ein Beispiel: ein Kind, in einer Bedarfsgemeinschaft lebend, unter sechs Jahren, bekommt 237 Euro Regelsatz Hartz IV. Es erhält ebenfalls Kindergeld in der gesetzlichen Höhe von 204 Euro. Da nun das Kind mit den Eltern in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, wird das Kindergeld als Einkommen berücksichtigt. Nun folgende Rechnung:
237 Euro (Regelsatz) minus 204 Euro (Kindergeld) = Differenz 33 Euro
Das heißt: das Kind, das in prekärer Situation aufwächst, erhält nur 33 Euro mehr zum Leben, als ein Kind aus gutsituierten Verhältnissen Kindergeld. Das ist ungerecht! Aufstehen-Berlin sollte sich für eine Abschaffung dieser Anrechnungsvorschrift stark machen!
Was unternimmt der Berliner Senat, damit es Hartz IV Kindern besser geht?
Der Senat ist „kreativ“ geworden und hat ein „Bildungs- und Teilhabepaket“ entwickelt. Damit hofft er mehr Chancengleichheit zu erreichen, damit auch Kinder und Jugendliche aus Familien mit geringem Einkommen überall mitmachen können und keine bildungstechnischen und sozialen Nachteile erleiden.
Wie sieht das im Einzelnen aus?
Hartz-IV-Beziehende stellen für ihre Kinder beim Jobcenter einen Antrag auf diese Zuschüsse. Grundlage dafür bildet § 28 des Sozialgesetzbuches zwei (SGB II). Haben sie diesen Antrag gestellt und ihren Anspruch geltend gemacht, erhalten sie den Nachweis, dass sie die Leistungen des Bildungspakets in Anspruch nehmen können (“berlinpass-BuT”). Ein Tropfen auf den heißen Stein! Der „berlinpass“ ermöglicht dem Kind aus armen Verhältnissen beispielweise eine freie Fahrt mit S-Bahn und U-Bahn oder die kostenlose Teilnahme an Klassenfahrten und Ausflügen oder ein kostenloses Schulessen. Ab dem 1. August 2019 allerdings hat jedes Berliner Grundschulkind bis zur 6. Klasse sowieso einen Anspruch auf kostenloses Schulmittagessen und seit Anfang des Jahres jeder Schüler eine freie Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Was für ein Ausgleich für die permanente Schlechterstellung armer Kinder!
Reden wir weiter über die Zustände in Berlin
In Berlin gibt es aktuell 173.000 Kinder, die in sogenannten Bedarfsgemeinschaften leben.
Wie in anderen Städten der Bundesrepublik gibt es in Berlin Bezirke, in denen die Armutsquote besonders hoch ist. Das sind meist „Kieze“, in denen besonders viele Arbeitslose und Menschen mit Migrationshintergrund leben. Diese “Brennpunkte” befinden sich im Herzen der Stadt: Mitte und Neukölln! In Berlin sind mehr als ein Drittel aller Hartz IV Beziehende alleinerziehend, in der Regel Frauen. Der Bezirk mit den meisten alleinerziehenden Müttern ist Marzahn-Hellersdorf. Schauen wir genauer hin, stellen wir fest, dass mehr als die Hälfte der Kinder, nämlich 62,4 %, in Hartz IV Bedarfsgemeinschaften im Ortsteil Gesundbrunnen (Bezirk Mitte) leben.
Kinder sind unsere Zukunft
Die Kombination von Armut, Migrationshintergrund und niedrigem Bildungsstand der Eltern ist für die Kinder eine Barriere für den Start ins Leben, die nicht mit den „kleinen Geschenken“ des Senats ausgeglichen werden kann. Ein Ungleichgewicht in der schulischen und beruflichen Bildung, häufige Schulprobleme wie schlechte Noten, Klassenwiederholungen, eine insgesamt geringere schulische Qualifikation, eine Quote von 7,1% Schulabbrüchen und Schulabgängen ohne Abschluss, verbaut vielen armen Kindern langfristig die Zukunftschancen.
Die Vorstellung, das Bildungspaket des Senats könne sowas wie Chancengleichheit bewirken, muss wie Hohn und Spott in den Ohren dieser Kinder klingen, die es selten – lediglich zu 17 Prozent – auf ein Gymnasium schaffen. Nicht nur diese Tatsache zeigt uns deutlich, wie wenig die Fördermaßnahmen für arme Kinder in unserer Stadt greifen!
Der Staat verspielt die Zukunft unserer Kinder
Es ist nicht allein das verfehlte Bildungspaket, sondern oft auch der Standort der Schule in den sogenannten „Brennpunkten“, der über die Zukunft der Kinder aus Hartz IV Familien mitentscheidet. Eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), erstellt von Rita Nikolai und Marcel Helbig, zeigt, dass die Schulqualität in sozialen Brennpunkten messbar schlechter ist als in Vierteln, wo kaum arme Kinder leben.
So wird in sozial benachteiligten Grundschulen (ab 50 Prozent lernmittelbefreiter Kinder) nur eine 35-prozentige Unterrichtsabdeckung erreicht; es fallen 50 Prozent mehr Schulstunden aus als an sozial privilegierten Sekundarschulen. Diese Fakten zeigen, was dem Senat die Förderung benachteiligter Kinder wirklich wert ist, um ihnen ein meist lebenslanges Leben in Armut zu ersparen.
Zum Zusammenhang von Kinder-Armut und Kinder-Gesundheit erwarten wir demnächst einen weiteren Beitrag, weshalb an dieser Stelle das Thema nicht weiter vertieft wird.
Nur so viel: Für Kinder sind täglich nur 2,57 Euro für Nahrung und Getränke vorgesehen – für Jugendliche ab 14 Jahren 3,42 Euro. Das FKE (Forschungsdepartment Kinderernährung in Bochum) errechnete, dass diese Beträge gerade mal den Bedarf von Dreijährigen decken.
der „exorbitante“ Wahnsinn
im Sumpf strampeln, nur um darin unterzugehen
Wieviel darf ein Jugendlicher dazu verdienen? An dem Beispiel des Hinzuverdienstes wird die totale soziale Disparität (dem Nebeneinander von Ungleichem) in unserer Gesellschaft so schmerzlich deutlich, dass es die Wut und den Hass der Jugendlichen aus armen Verhältnissen auf diesen Staat verständlich macht.
auf dem Konto die ganze Zeit null, null, null
In der Bundesrepublik ist es Kindern und Jugendlichen erlaubt, bis zu 7.664 Euro im Jahr zu verdienen, ohne dass ihren Eltern dadurch steuerliche Nachteile entstehen. Der Jugendliche, der eine Ausbildung macht und noch zu Hause lebt, kann den kompletten Lehrlingslohn behalten.
So nicht der in einer Bedarfsgemeinschaft, im Heim oder in einer Pflegefamilie lebende Jugendliche! Ein Kind von Empfängern von Arbeitslosengeld II (ALG II) unter 25 Jahren – egal ob es „jobbt“ oder eine Ausbildung macht – darf nur 100 Euro im Monat behalten. Von jedem Euro, den es mehr verdient, werden ihm/ihr vom Jobcenter 80 Cent abgezogen. Allerdings gilt das nur für elf Monate im Jahr. Darüber hinaus dürfen sie jährlich zusätzlich mit einem Ferienjob 1.200 Euro dazuverdienen, wenn dieser nicht länger als vier Wochen dauert. Das heißt: die Hinzuverdienst-Grenze von 2.300 Euro im Jahr darf nicht überschritten werden.
„Leistung muss sich lohnen“
Zu Recht finden viele Betroffene das unfair. Jede Motivation der Jugendlichen, mehr zu leisten oder finanziell auf die Beine kommen, wird vorschnell kaputt gemacht. Es entmutigt junge Berufstätige, regelmäßig arbeiten zu gehen, wenn der Staat die Jugendlichen auf diese Weise an den Kosten der Ausbildung beteiligt („Kostenheranziehung“, in § 94 des Sozialgesetzbuches acht, kurz SGB VIII geregelt), das ist unbegreiflich! Zur Verdeutlichung noch einmal in Zahlen:
7.664 Euro (Nichtprekär) minus 2.300 Euro (Prekär) = Differenz 5.364 Euro
für das Kind oder den Jugendlichen aus Nicht-Hartz IV Elternhäusern mehr, weil es oder er ja diesen Verdienst nicht nötig hat! Und weil das Kind oder der Jugendliche aus prekären Verhältnissen, sich das Geld nicht genauso hart verdient hat?
Dieser Rechtszustand ist nicht akzeptabel!
Laut Meinungsforschungsinstitut „Civey“ wollen 60% der Befragten Änderungen am bestehenden Hartz IV System! Am meisten lehnen die Wähler der Linken Hartz IV ab, nämlich 90,3 Prozent. Aber auch 75% der SPD-Wähler stehen Hartz IV ablehnend gegenüber sowie 66,6% der Grünen-Wähler.