November 10, 2024

RE: Nein zum Kriegsmanöver Defender 2020

Sehr fragwürdige Manöverkritik an US/NATO Militärübung Defender 2020

von Heinrich Bücker

Im Coop Antikriegscafe Berlin trifft sich seit August 2018 jede Woche die Aufstehen Basisgruppe in Berlin-Mitte. Zahlreiche Aktionen haben wir unter dem Motto von Aufstehen selbst veranstaltet, oder haben an Aktionen anderer Gruppen teilgenommen.

Unsere Ziele sind, wie formuliert im Gründungsaufruf von Aufstehen:

Eine neue Friedenspolitik: Deutschland und Europa müssen unabhängiger von den USA werden. Abrüstung, Entspannung, friedlichen Interessenausgleich und zivile Konfliktverhütung fördern statt Soldaten in mörderische Kriege um Rohstoffe und Macht schicken. Die Bundeswehr als Verteidigungsarmee in eine Europäische Sicherheitsgemeinschaft einbinden, die Ost und West umfasst.

Wir wollen hier kurz und konkret auf eine unserer Meinung nach viel zu kurz greifende und sehr fragwürdige Manöverkritik an US/NATO Militärübung Defender 2020 in dem folgenden Blogbeitrag eingehen.

Nein zum Kriegsmanöver Defender 2020

Der Artikel äussert zwar eine grundlegende Kritik an dem jetzt anlaufenden militärischen Grossmanöver, fährt dann aber fort, die folgenden Punkte aufzuzählen, die wir so nicht plausibel nachvollziehen können und deshalb hier zurückweisen. So heisst es u.a. in dem Beitrag:

Jedoch muss erwähnt werden, dass Russland es den USA und der Nato nicht besonders schwer gemacht hat, Russland als Gefahr für den Westen in Europa zu revitalisieren: Dezember 1994 verweigerte es die Unterzeichnung einer „Partnerschaft für den Frieden“. Drei Jahre später (1997) versuchte Putin den Faden noch einmal aufzunehmen, indem er einen Beitritt Russlands in die Nato ins Gespräch brachte. Diese “Partnerschaft” wurde aber von beiden Seiten nicht umgesetzt! Die Folge war, dass die „Schmach“ Russlands, nicht mehr als einflussreiche Weltmacht sondern als „Regionalmacht“ (Obama) angesehen zu werden, durchaus nationalistische, antiwestliche Ressentiments und militaristische Tendenzen förderte.

Russland kompensierte Verlust der “Weltmachtrolle” durch große Manöver
Das Manöver „Sapad 2017“ fand vom 14. bis 20. September 2017 statt. Nach russischen Angaben nahmen 12.700 Soldaten an dem Manöver teil. Litauen, Lettland und Estland warnten vor einer offensiven “Kriegsübung”, was mit der Annexion der Krim Frühjahr 2014 nicht unbegründet gewesen ist. Beim Manöver Wostok (Osten) 2018 setzte das russische Verteidigungsministerium 300.000 Soldaten, bis zu 36.000 Panzer und Militärfahrzeuge, mehr als 1000 Flugzeuge, Hubschrauber und Drohnen sowie 80 Marineschiffen ein.

Die Antwort des Westens auf die Annexion der Krim März sowie die kriegerischen Einsätze Russlands an der Ostgrenze der Ukraine seit 2014, der Wirtschaftsboykott, war einer Annäherung an Russland nicht förderlich.

anschließend heißt es wieder richtig:

Wir von Aufstehen-Berlin sehen die Pflicht daran zu erinnern:

NIE WIEDER Krieg vom DEUTSCHEN BODEN

Die Argumentation des Autors, könnte aus den bürgerlichen Medien entnommen sein, welche uns genau dieses Narrativ von einer Annexion und russischer Agressionen seit 2014 gebetsmühlenhaft zig-tausendmal vorgehalten haben. Aufstehen sollte sich hüten derartige Fehlinterpretationen zu übernehmen, wenn es in dem Beitrag heißt: Die Antwort des Westens auf die Annexion der Krim März sowie die kriegerischen Einsätze Russlands an der Ostgrenze der Ukraine seit 2014. 

In Kiew war im Frühjahr 2014 eine zutiefst russlandfeindliche Regierung durch einen vom Westen unterstützten Putsch an die Macht gekommen, Dies hätte in Folge bedeutet, dass die Häfen der Krim, bisher Marinestützpunkte Russlands, in den Besitz der neuen Regierung in Kiew gekommen wären. Kiew wollte bereits 2014 die Ukraine perspektivisch zum NATO-Partner machen und operiert jetzt mit der NATO. Moskau reagierte deshalb 2014, angesichts der neuen Lage umgehend, besetzte ukrainische Militärstützpunkte und organisierte in Folge ein Referendum. Ein überwiegender Teil der auf der Krim ansässigen Bürger sprach sich in diesem Referendum für einen Anschluss an Russland aus. Insofern sprechen viele Völkerrechtsexperten von einer Sezession und eben nicht von einer Annexion, wie die meisten unserer bürgerlichen Medien.

Nachdem die Krim 200 Jahre lang zu Russland und der Sowjetunion gehört hatte verschenkte Chruschtschow die Krim im Jahr 1954 aus einer Laune heraus an die ukrainische Sowjetrepublik, zu der er eine besondere Beziehung hatte. Genauer gesagt gliederte er die Krim an die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik an. Diese war kein unabhängiger Staat, sondern gehörte zur Sowjetunion. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion gab es auf der kulturell unterschiedlichen Krim dann große Anstrengungen, sich von der Ukraine abzugrenzen. Die von Moskau unabhängig gewordene Ukraine gewährte der Krim im Jahr 1991 zunächst eine Autonomie mit einer eigenen Verfassung und einem eigenen Parlament. Als im Jahr 1994 eine Verfassungsreform die Autonomierechte der Krim stark einschränkte, sprach sich eine große Mehrheit der auf der Krim ansässigen Ukrainer in einer Volksabstimmung sowohl für eine weitgehende Unabhängigkeit innerhalb der Ukraine als auch für eine doppelte Staatsbürgerschaft Ukraine/Russland aus. Die Wähler wurden gefragt, ob sie eine größere Autonomie innerhalb der Ukraine befürworten, ob die Einwohner die doppelte russische und die ukrainische Staatsbürgerschaft besitzen sollten und ob die Dekrete des Präsidenten den Status von Gesetzen haben sollten. Alle drei Vorschläge wurden angenommen. (Von ingesamt 1,3 Millionen Stimmberechtigten, befürworteten 78,4% eine größere Autonomie gegenüber der Ukraine, 82,8% befürworteten die Ermöglichung der doppelten russisch-ukrainischen Staatsbürgerschaft und 77,9% befürworteten die Erteilung der Gesetzeskraft durch die Präsidentschaftsverordnungen auf der Krim.)

In Folge zwang die Regierung in Kiew die Krim, sich von der revidierten Verfassung wieder loszusagen.

Der Russland-Kenner Professor Reinhard Merkel bezeichnet es als «eine gesicherte Tatsache», dass sich dann in der Abstimmung von 2014 «eine grosse Mehrheit der Krimbewohner den Anschluss an Russland wollte und auch nach wie vor will».

Dann zum Satz: Drei Jahre später (1997) versuchte Putin den Faden noch einmal aufzunehmen. Dieser Satz ist faktisch falsch, weil es heißen müsste Boris Jelzin. Putin war zu dieser Zeit noch nicht im Amt. stellvertretender Kanzleileiter des Präsidenten Boris Jelzin.

Zum Argument, Rußland habe im Dezember 1994 die Unterzeichnung einer „Partnerschaft für den Frieden“ verweigert, heisst es sogar auf der ansonsten nicht empfehlenswerten Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung folgendermaßen:

Es gibt zwei Gründe für die Forderung Russlands nach besonderen Beziehungen. Der eine liegt im Wunsch – eigentlich der Notwendigkeit – der russischen Führung, als Staat und Nation von der NATO offen, wenn auch nicht mehr als Supermacht, so doch als Großmacht anerkannt zu werden. Der zweite ist ein praktischer und zielt darauf ab, zu verhindern, dass die NATO Aktionen zustimmt, die nicht im Sinne der russischen Führung sind. Diese Bedenken waren der Hauptgrund dafür, dass sich der Beitritt Russlands zum NATO-Programm „Partnerschaft für den Frieden“ (Partnership für Peace/PfP) 1994/95 verzögerte, da die PfP auf der formellen Gleichheit der Partnerstaaten beruht.

Im Jahre 1997 beschlossen die NATO-Staaten, die Bedenken Russlands bezüglich der Osterweiterung aufzugreifen, gaben der russischen Regierung jedoch kein effektives Vetorecht. Die NATO-Erweiterung war seit 1993 ein Zankapfel gewesen; sie war für die russische Regierung sogar zum wichtigsten Punkt in Fragen der europäischen Sicherheit geworden. Im Dezember 1994 warnte Präsident Boris Jelzin in einer berühmten Ansprache die NATO-Führung vor der Gefahr, dass Europa „in einen kalten Frieden stürzen“ könnte, wenn die Erweiterung voranschreite.

Fazit: Der sehr kritische Beitrag zu einem Militärmanöver, das man vehement ablehnt ist dennoch zugleich auch von Äquidistanz geprägt, d.h. von dem Versuch den gleichen ideologischen Abstand zu den politischen Akteuren zu wahren, um keine klare Position beziehen zu müssen. Man wagt es nicht sich in dieser zugespitzten Lage schützend vor Russland zu stellen und bedient sich weiterhin in gewisser Weise der Rhetorik des militärisch industriellen Medienkomplexes. Dies gilt es zu korrigieren, weil das im Wesen auch mit den Grundsätzen von aufstehen nicht zu vereinbaren ist.