November 10, 2024

Alleinstellungsmerkmale

Ein Gastbeitrag

von Jupp Steiger

Mögliche ALLEINSTELLUNGSMERKMALE für AUFSTEHEN – ausgehend von neuen Denkansätzen zur Bewahrung und Weiterentwicklung unserer Demokratie.

Seit dem Start von Aufstehen im September 2018 durch Sahra Wagenknecht und ihrem aus meiner Sicht „wunderbaren“, weil parteiübergreifend angelegten Gründungsaufruf für eine Sammlungsbewegung progressiver politischer Kräfte in Deutschland, hat mich kein Thema stärker beschäftigt als das Thema Demokratie (v.a. weil das Thema Wirtschaft bisher noch nie so richtig mein Ding war, obwohl ich unter den neoliberalen Verhältnissen selber lange Zeit heftig gelitten habe!).

„Wie kann man die heutige liberale Demokratie für zukünftige Generationen über die zu erwartbaren Krisen bis ins nächste Jahrhundert hinüberretten?“ ist die Kernfrage, die ich mir zum Themenbereich Demokratie gestellt habe. – Durch welche Maßnahmen kann sie in unserem Land weiter gefestigt werden?  Konkreter: Welche Verbesserungsmöglichkeiten des bestehenden Systems sollten a) in der Technologie und b) für den Menschen in Betracht gezogen werden, um zu dieser  erstrebenswerten Festigung maximal beitragen zu können?

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat all diese Fragen vor kurzem in etwa so zusammengefasst: „Welche Antworten finden die Demokratien dieser Welt, die anders [und hoffentlich besser] sind als die der [autoritären Regimes]?“ [in eckigen Klammern = Einfügungen von mir, die Frage im Sinne des Inhalts präzisierend. Auch der Zusatz „..im Umgang mit den Neuen Technologien“ blieb meines Wissens unausgesprochen, war aber sicher ganz wesentlich mitgemeint.]

Gedanklich genau in der vom Bundespräsidenten angesprochenen Suchrichtung sind mir in den letzten zweieinhalb Jahren bei Aufstehen (bin als mehr oder weniger „parteiloser“ Politikneuling seit Oktober 2018 aktiv dabei …) mindestens zwei unterscheidbare Denkansätze eingefallen, die jeweils auch als Alleinstellungsmerkmale für Aufstehen dienen könnten. Für einen wachsenden Bekanntheitsgrad von Aufstehen in der Bevölkerung wären solche konkreten Alleinstellungsmerkmale, die die Menschen mit unserer Sammlungsbewegung positiv in Verbindung bringen können, m.E. sehr hilfreich (u.a. für bündnispolitische Kontakte..). Aus dem Themenbereich Demokratie heraus ließen sich sehr gut gleich mehrere Alleinstellungsmerkmale generieren, wie ich im Folgenden aufzeigen möchte.

Der technische Ansatz  („Digitale Demokratie“)

Diez u. Heisenberg fordern in ihrem 2020 erschienenen Buch „Power to the People“ (ISBN 978-3- 446-26417-5; Neupreis „nur“ 18,- €..) allgemein für unser digital schlimm hinterherhinkendes Land mehr „digitale Experimentierkultur“ (S.41) und kündigen schon im Untertitel ihres Buches an: „Wie wir mit Technologie die Demokratie neu erfinden“. – Diese knapp 150 Seiten Lesestoff von zwei relativ jungen Autoren möchte ich gerne allen Interessent*innen am Thema Demokratie bei Aufstehen als Grundlage unserer Arbeit bzw. sozusagen als „Pflichtlektüre“ zum Thema Digitale Demokratie empfehlen! (Anm.: Sowohl von diesem Titel als auch von einem anderen, ebenso lesenswerten Werk zweier Schweizer Autoren „Agenda für eine digitale Demokratie“ – Graf u. Stern 2018, ISBN 978-3-03810-328-8 –  habe ich übrigens via ÖRM erfahren, so dass deren Inhalte damit mehr oder weniger offiziell abgesegnet sein müssten für öffentliche Diskurse!…) – Schon lange stelle ich mir die Frage, ob aus unserer Bewegung heraus nicht ein starkes, breites Interesse weckendes Signal ausgehen könnte, wie wir selbst in der Bewegung mit neuen basis-demokratischen Meinungsbildungs-Tools experimentieren! …

Meine größte persönliche Hoffnung in Verbindung mit Aufstehen ist die, dass aus diesem Experimentieren heraus allmählich dauerhafte neue Wege und Strukturen erwachsen können, die sich a) in unsem, im internationalen Vergleich eigentlich ziemlich gut angelegten Mehr-Parteien-system anpassen und einfügen lassen, die aber auch b) dauerhaft neue Formen von Meinungsbildungsprozessen an der Basis zulassen und verarbeiten könnten, inklusive politik-befruchtender Ideen und Problemlösungsansätze aus der Bevölkerung heraus. Ein Hauptargument zu Punkt b) wäre: Mehr Bürgerbeteiligung über offizielle (!→a)) neue Wege zuzulassen, besonders in Zeiten gravierender Krisen, wie sie uns in diesem Jahrhundert höchstwahrscheinlich noch bevorstehen, erscheint mir als eines der denkbar besten Instrumente, die allgemeine Zustimmung zur repräsentativen Demokratie in den kommenden Jahrzehnten in der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. – Ein weiterer für b) sprechender Aspekt ist der (mich persönlich besonders motivierende) Wunsch, den heranwachsenden Generationen den Zugang zu politisch aktivem Engagement möglichst dauerhaft zu erleichtern, als Ergebnis unserer Bemühungen für Aufstehen!

Alleinstellungsmerkmale und mehr allgemeine Aufmerksamkeit für Aufstehen lassen sich,

wie alle ‚a‘-Aktiven in den letzten zweieinhalb Jahren ja immer wieder feststellen konnten, nicht dadurch entwickeln, dass wir interessanten, teils neuen Initiativen anderer Gruppen hinterherlaufen (s. z.B. die Mahnwachen für Julian Assange zum Thema Pressefreiheit..): Das reicht nicht als gültige Beschreibung dessen, was unsere wichtigsten aufstehen-eigenen Ziele sein sollen! – Mit dem technologischen Ansatz will ich im Kern dafür plädieren, dass auch „Neuland“- Demokratie-Ziele zu den auszuwählenden Hauptzielen von Aufstehen gehören sollten, nicht zuletzt, weil diese den Bekanntheitsgrad von Aufstehen in Zukunft erheblich steigern könnten!

Wenn wir auch aus dem Bereich Digitale Demokratie für Aufstehen Ziele bzw. Alleinstellungsmerkmale schöpfen könnten, ließen sich anschließend die Ideen und konkreten Forderungen, die Diez & Heisenberg propagieren, z.B. „ein Menschenrecht auf Datenverschlüsselung“ (S. 54) , meiner Meinung nach sehr gut kompatibel machen mit aktuellen Ideen zur Gemeinwohlökonomie, die Aufstehen in anderen Themenräumen und Arbeitsgruppen, wie sich abzeichnet, mit in den Vordergrund stellen möchte. Diez & Heisenberg fordern nämlich als einen wesentlichen Punkt kommunale Datenhoheit ein, um daraus mehr lokale Projekte entwickeln zu können im Sinne einer Gemeinwohlökonomie für alle!

Der zwischenmenschliche Ansatz  für eine

„neue Debattenkultur“

Mein zweiter Vorschlag für ein (ggf. zusätzliches) Alleinstellungsmerkmal für Aufstehen ist v.a. ein Versuch den Sorgen machenden Tatsachen-Befund des bekannten sog. Böckenförde-Diktums aus dem Jahre 1976 zu verarbeiten. Das Böckenförde-Diktum besagt mehr oder weniger, dass die Staatsführung einer Demokratie nicht selbst für den Fortbestand derselben garantieren kann. Eben weil dies (aus meiner Sicht aber nur teilweise!) zutrifft, ist es doch aller ehrbaren Mühen wert, für eine progressive Sammlungsbewegung wie Aufstehen dafür einzutreten und zu fordern, dass wesentlich mehr Demokratie-Unterricht und Debatten-Trainings an Schulen stattfinden sollten! Debattier-Trainingskurse/„-Clubs“ an Schulen und Universitäten sind seit Jahrhunderten Tradition in allen angelsächsischen Ländern. Da stellt sich mir die Frage: Warum übernehmen wir in Deutschland nicht auch endlich eine dermaßen gute und historisch schon lange bewährte Demokratiekultur-Tradition?? …

Jenseits des schulischen Bereichs könnte an der Initiierung und Förderung einer – nicht zuletzt auch aktiv den gesellschaftlichen Zusammenhalt wieder stärkenden! – politischen Debattenkultur zur besseren gegenseitigen Verständigung zwischen allen progressiven Parteien gearbeitet werden. Ich finde,  gerade weil die Kommunikation untereinander „facebook-verseucht“ spürbar aggressiver und zum Teil  übertrieben unversöhnlich geworden ist, könnte es sich für unsere parteienübergreifend angelegte Sammlungsbewegung SEHR lohnen an Debatten-Formaten nach geeigneten konstruktiv ausgerichteten Regeln zu arbeiten. Auch hierfür gibt es bereits Vorlagen wie insbesondere das Debatten-Konzept der sog. „Better Angels“, die in den USA sogar unter Trump aktiv darum bemüht waren, dass die Spaltung zwischen Demokraten und Republikanern allmählich wieder durch einen geregelten, fairen Austausch von Argumenten im sog. „townhall“- oder Turnhallen-Format überwunden werden kann.

Machen wir uns hier klar und erinnern uns daran, wann immer nötig: allgemeine parteiübergreifende  Interessensüberschneidungen aus gemeinsamen Grundüberzeugungen heraus sowie konkretere thematische Schnittmengen sollten für Menschen mit ähnlich progressiven Grundhaltungen hierzulande eigentlich wesentlich leichter und schneller bestimmbar und kampagnenfähig ausgestaltbar sein, als z.B. irgendeine konsensfähige Politik in den USA zwischen Demokraten und Republikanern derzeit überhaupt möglich erscheint (…trotz aller in meiner Wahrnehmung besten Bemühungen und fairen Kooperationsangeboten seitens der neuen Administration von Präsident Joe Biden)!

Zum Schluss

noch ein paar ergänzende Bemerkungen (inklusive weiterer Denkanregungen..):

Die aktuellen Corona-Zeiten lehren uns doch, wie unverzichtbar wichtig die neuen Technologien zur Ausübung demokratischer Meinungsfreiheit und für politische Willensbildungs-prozesse in der Bevölkerung sein können, und das für einen Zeitraum, der nunmehr schon über ein ganzes Jahr andauert…! => Welche demokratie-bezogenen Umdenk-/Lernprozesse wären dies berücksichtigend an der gesellschaftlichen Basis jetzt nötig? Und: Welche sinnvollen gemeinsamen Forderungen, die in diesem Wahljahr für (progressiv-) demokratische Mehrheiten im Land (wie gesagt: im Rahmen der bestehenden Rechtsordnung!..) unterstützbar wären, können wir auch aus den aktuellen Pandemie-Gegebenheiten für unsere Sammlungsbewegung ableiten? – Dies wären m.E. zwei der wichtigen weiterführenden Fragen zu Ansatz 1.

Aufstehen-interner Zusammenhalt und Solidarität (als „aktiv tätige gegenseitige Unterstützung“ verstanden und gemeint, die heute von uns allen erst wieder erlernt und wiederbelebt werden muss …und auch könnte aus meiner Sicht!) werden zu einer erfolgreichen Etablierung und Behauptung dieses ersten Ansatzes nötig sein, genauso wie dies für die Einführung umwälzender Veränderungen im Bereich der Wirtschaft notwendig sein wird. Dazu gehören immer auch ein paar Quentchen „zeitgemäßen“, – gemeinsam übrigens viel leichter zu fassenden!.. – Mutes, ohne den keine neue soziale Bewegung  jemals auskommen wird um ihren jeweils als historisch zu betrachtenden Aufgaben gerecht werden zu können! Gemeinsamen Mut nur für den Bereich Wirtschaft aufzubringen und dabei den heute ebenso dringend benötigten Mut für die Bewahrung und zeitgemäße (besser: „jahrhundert-gemäße“) Weiterentwicklung der Demokratie zu vernachlässigen, wäre für Aufstehen im Falle des Versäumens nachträglich sicher als ein historischer Fehler zu beklagen. Die Chancen für die Demokratie als solche mit-„aufzustehen“ sind wenn, dann jetzt und nur jetzt in dieser gegenwärtigen Phase der Entwicklungen, v.a. in Anbetracht des wachsenden Außendrucks durch nicht demokratisch aufgestellte Regierungssysteme…!

Um den zweiten Ansatz könnte ich mich erst mal selber kümmern, Euer generelles Interesse und Eure Zustimmung vorausgesetzt. – Konkret hieße das zunächst einmal parteiübergreifend aufgeschlossene, tolerante Leute in den verschiedenen progressiven Parteien zu finden und möglichst zusammenzubringen im Rahmen dieser Idee… – Wer selbst Interesse hat bei der Ausarbeitung fairer Debatten-Konzepte mitzuwirken, soll sich bitte sehr gerne bei mir melden!

Eine weitere (Alleinstellungs-)Werbemöglichkeit für Aufstehen könnte darin bestehen, eine basis-generierte Suche nach ausbaufähigen politischen (insbesondere jungen Nachwuchs-)Talenten zu starten! Hierfür kämen prinzipiell alle oben angesprochenen Ansätze in Frage (d.h. Ansatz 1 + Ansätze 2a+b: schulische und Erwachsenenbildung). Ein von der Bürgerschaft initiiertes politisches Übungs- und Bewährungsfeld für junge genauso wie auch für ältere politische Talente könnte man als einen 3. Ansatz weiterentwickeln. Da er jedoch von einer wirklichen Langfrist-Perspektive für Aufstehen ausgehen muss, die es derzeit noch nicht gibt, habe ich diesen Ansatz gedanklich noch nicht weiter vertieft. Es erscheint mir aber (mehrfach) sinnvoll auch ihn weiter im Sinn zu behalten.

Ein letzter Punkt, der mir wichtig ist, ist die Anonymität: Alle meine Ideen und Vorschläge für Aufstehen möchte ich Aufstehen am liebsten anonym zur Verfügung stellen. Als neues basisdemokratisches Verfahren wäre es meines Erachtens wünschenswert, wenn alle Vorschläge gesammelt und anschließend anonymisiert an die verbliebenen 120.000+ Adressen für große Votings zu jedem Themenraum versendet werden. Das generelle Recht der Bürger*innen auf Anonymität wird dankenswerterweise auch von Diez/Heisenberg angesprochen, S. 53. Denn nicht jede*r kann oder möchte zu viel negatives oder auch zu viel positives Feedback psychisch verkraften müssen! – Somit wäre es – erstmals in der Weltgeschichte übrigens! – möglich, konstruktive inhaltliche Beiträge zu demokratischen Meinungsbildungsprozessen in der Bevölkerung ausschließlich nach deren Gehalt und weder geschlechter- noch alters- noch behinderten- noch „rassen-“ noch sonst wie Person-diskriminierend, also im Prinzip vollkommen inklusiv für alle politisch denkfähigen Bürger*innen einer vergleichend abwägenden Betrachtung zugänglich zu machen!!… 

Eine entsprechend formulierte Einladung könnte meiner Meinung nach auch ein sehr guter Weg sein, mehr Mitmach-Interesse bei vielen der verbliebenen ca. 120.000 Adressaten zu wecken, die ja wohl demnächst via Consul o.ä. Web-Tools an (evtl. gestaffelten und wiederholten) Programmentwicklungs-Votings teilnehmen sollen! 

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