Die antidemokratische, antisoziale und antiökologische politische Bewegung des 20. Jahrhunderts
von Dieter Küchler
Der Neoliberalismus war nie einfach eine ökonomische Lehre, sondern in erster Linie ein politisches Projekt. Als genau das haben es sich die geistigen Väter des Neoliberalismus in den 1930er und 40er Jahren international ausgedacht /1/.
Das politische Projekt sollte die totale marktradikale Orientierung und das neoliberale Wertesystem maskieren und vor möglichen demokratischen Bewegungen der westlichen Staaten nach 1945 schützen. Das neoliberale Wertesystem besteht nach /5/ aus:
- absoluter Marktradikalität;
- verquerer Interpretation der Eigenverantwortung;
- einseitigen Freiheitspostulaten.
Die folgenden Hauptthesen entlarven das neoliberale politische System als antidemokratisch, fortschrittsfeindlich, internationalitätsfeindlich, antisozial und antiökologisch. /1/, /2/, /3/
Neoliberale Thesen
1.These
Die Führung der Wirtschaft muss von der Nation getrennt werden. Damit muss die Wirtschaftspolitik von der nationalen Politik entfernt und entpolitisiert werden.
Die primäre Idee hinter der Gründung der EU war der Schutz der Privatwirtschaft vor dem Staat. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble formulierte dieses Ziel so: „Wahlen ändern nichts. Es gibt Regeln.“/3/
Oder mit den Worten von Jean-Claude Juncker 2015 als Präsident der Europäischen Kommission: „Es gibt keine demokratische Wahl gegen die europäischen Verträge.“/3/.
2.These
Die neoliberale Wirtschaft braucht die Unterstützung des Staates zur Durchsetzung ihres politischen Konzeptes :
- mit der Rückführung der Staatsschuldenquote;
- mit der Privatisierung ehemaliger staatlicher Aufgaben;
- mit der Deregulierung des Waren- und Kapitalverkehrs.
Der Staat wird gebraucht zur Durchsetzung des Begriffs der Freiheit als den alles bestimmenden sozialen Wert, der durch Verringerung des Staates auf ein Minimum gefördert werde. Zu dieser Kategorie gehört zudem die Übertragung ökonomischer Prinzipien auf Lebensbereiche jenseits der Arbeit und wirtschaftlichen Tätigkeit /4/.
3.These
Neoliberale sahen die westeuropäische gemischte Wirtschaft der Nachkriegszeit mit starken sozialen Aspekten als Variante des Staatssozialismus.
Das Risiko der Demokratie wurde darin gesehen, dass sie zum Sozialismus führen könnte.
Die neu geschaffene internationale Wirtschaftsordnung schützt den Weltmarkt vor populärem Druck. Die Demokratie wird am meisten von der global orientierten Elite gestört. Die nationale Politik muss entthront werden.
4.These
Geldpolitik ist eine ernste Sache und sollte geheim nur im neoliberalen Kreis diskutiert werden. Zu diesem Zweck wird der Monetarismus des 19. Jahrhunderts als Grundlage der Geld- und Fiskalpolitik im öffentlichen Diskurs wieder eingeführt, welcher die Verfügbarkeit der staatlichen Finanzierungsmittel wieder auf das Steuereinkommen des Staates reduziert.
Die Erfüllung dieser Thesen führt zu einem radikalen Individualismus, der die Maximierung des individuellen Nutzens als grundlegende Motivation aller menschlichen Handlungen versteht/5/.
Das Wesen des Menschen ist demnach ein nur seinem Eigeninteresse verpflichteter homo oeconomicus, der immer seinen Nutzen kalkuliert, egal ob es um Kaufverträge, Geldanlagen, politische Wahlen, den Besuch eines Konzertes, Heirat, Kinderkriegen, Nächstenliebe oder Sex geht. Für radikale Neoliberale wie Margaret Thatcher gilt entsprechend: „Es gibt keine Gesellschaft, nur Individuen.“
Entsprechend dehnt der selbst erklärte „ökonomische Imperialismus“ des Neoliberalismus seine Logik von Effizienz, Wettbewerb und Flexibilität auf alle Bereiche der Gesellschaft aus – eine umfassende Ökonomisierung aller gesellschaftlichen Bereiche – eine umfassende ›Kultur des Marktes‹.
Sparen, liberalisieren, flexibilisieren, privatisieren.
Bezeichnenderweise ist die Durchsetzung neoliberaler Freiheiten und Reformen wichtiger als demokratische Verständigung in der Gesellschaft/6/.
Wenn Eigentum und Wirtschaftsfreiheit bedroht sind, werden diktatorische Maßnahmen als notwendig erachtet. Erstes Beispiel dafür war der Militärputsch von Pinochet 1973 in Chile.
Der Neoliberalismus schafft ein Bild vom Menschen als Gewinn-und-Verlust-Rechnung – und eben nicht als Inhaber unveräußerlicher Rechte und Pflichten. Ziel war freilich, den Wohlfahrtsstaat abzubauen, jede Verpflichtung zur Vollbeschäftigung über Bord zu werfen, Steuern immer weiter zu senken und fleißig zu deregulieren /6/.
Aber „Neoliberalismus“ ist weit mehr als eine klassische rechte Wunschliste. Er war und ist ein Werkzeug, die gesellschaftliche Realität zu ordnen und unseren Status als Individuen neu zu denken.
Jede politische Kraft, die sich gegen dieses neoliberale, in der Bundesrepublik seit 35 Jahren etablierte politische System wenden und es abschaffen oder wesentlich schwächen will, muss sich in seiner Argumentation zunächst von den heute vorherrschenden neoliberalen Hegemonie befreien. Denn diese neoliberale „Kunstwelt“ wurde gerade dafür geschaffen, um alle möglichen fortschrittlichen Gedanken und Konzepte als nicht machbar zu zerreißen und die neoliberale Welt als TINA (There is no Alternative) darzustellen.
Dem neoliberal en Konstrukt müssen die durch ihre Hegemonie entstandenen Verwerfungen in unserer Gesellschaft durch Zusammenhänge und Fakten entgegengestellt werden, damit die möglichen und notwendigen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Veränderungen auch allen Menschen unserer Zielgruppe plausibel erläutert werden können.
Das ist eine fast unlösbare Aufgabe, die nur im Bündnis aller linken Intellektuellen zusammen mit uns Aktiven der aufstehen-Bewegung gelingen kann.
Wir wissen, dass die bloße Nennung sozialer Ziele im neoliberalen Mainstream sofort als nicht machbar und damit unrealistisch abqualifiziert wird, und das leider auch in unserer Zielgruppe mit großem Erfolg. Dafür hat die stetige neoliberale Vorherrschaft im öffentlichen Diskurs gesorgt.