Dezember 10, 2024

Modern Monetary Theory

Deus ex machina?

von Karl Mahlstaedt

Ich versuche hier, mich mit der „Modern Monetary Theory“   auseinanderzusetzen, weil Teile der Linken glauben, damit den Schlüssel für die sozialökonomische Erneuerung der Gesellschaft gefunden zu haben. Besonders in den USA ist diese Theorie bei linken Demokraten populär, insbesondere Sanders und Ocasio-Cortez propagieren sie. Aber auch bei uns hat diese Theorie Anhänger. Eine gute Erklärung liefert auf dieser Plattform der Artikel:  „Was ist eigentlich Geld?“ von Dieter Küchler. /1/

Allerdings ist diese Position nicht unumstritten. Ich verlinke hier eine Gegenposition in Form eines Textes von Alfred Müller in der „jungen Welt“, „Der Gott aus der Druckmaschine“/2/, eine Position, die auch bei uns Anhänger hat.  Ich selbst stimme der MMT weitgehend zu, meine aber, dass auch ein „Gott“ hier einige Grenzen beachten muss. Ich werde meine Position anhand einer Kritik der Ausführungen Müllers entwickeln. Am liebsten wäre mir, wenn alle Interessierten zunächst beide Texte lesen, bevor sie sich meinem widmen.

Müllers Thesen werde ich aber zunächst wiederholen, bevor ich sie kritisiere, vor allem, weil er zahlreiche „marxistische“ Termini benutzt, die vielleicht nicht allen geläufig sind. Sodann folgen unabhängig von Müller noch einige eigene  Überlegungen.

I

Zu  1) Müller: „Die Anhänger der MMT gehen irrtümlich davon aus, dass der Staat Vertreter des Allgemeinwohls sei.“  

Natürlich ist der Staat kein Repräsentant des Allgemeinwohls, sondern ein Agent des Kapitals. Nur gibt es auch ein Kapitalinteresse an einem gewissen Gemeinwohl, weil allgemeine Verelendung die Kapitalverwertung beschädigen würde. Marx sprach in diesem Kontext vom „ideellen Gesamtkapitalisten“, der notfalls das kapitalistische Gesamtinteresse auch gegen kapitalistische Einzelinteressen durchsetzen muss. Hierzu gehört auch eine gewisse Sozialstaatlichkeit, wobei das notwendige Maß allerdings stets umstritten war. Hier gibt es zwei konkurrierende Strategien, die neoliberale und die keynesianische, wobei MMT der letzteren zuzuordnen ist.

Zu 2) Müller: „Geld als Staatsgeld zu bezeichnen, ist schon historisch falsch. Tatsächlich dominierte über Jahrhunderte Metallgeld (Gold, Silber) den Handel.“

Das ist zwar historisch richtig, aber zu oberflächlich interpretiert. Auch die Akzeptanz von Gold und Silber als Zahlungsmittel ist abhängig vom Willen eines Verkäufers, eine bestimmte Menge davon als Gegenwert für seine Ware zu akzeptieren, wobei auch Gold und Silber keinen „objektiven Preis“ haben, sondern nur den Preis, auf den sich Käufer und Verkäufer einigen. Nicht anders bei historisch jüngerem „Staatsgeld“ oder Zentralbankgeld. Hier kann ein objektiv minderwertiger Geldschein unproblematisch an die Stelle einer Goldmünze treten.   

Geld braucht also als Gegenwert zur Ware kein Gold. Der Gegenwert des Geldes ist die Warenmenge, die der Geldmenge als deren Zahlungsmittel gegenübersteht. Insofern kann ein Geldüberhang zusätzliche Warenproduktion stimulieren (solange der Geldregen nicht an den unteren 50% der Bevölkerung vorbeigeht). Doch funktioniert das idealtypisch nur in autarken Ökonomien  oder zumindest in Ökonomien, die ohne viel Import auskommen oder auskommen könnten (USA, China, EU). In kleineren importabhängigen Ökonomien dagegen nicht (Venezuela, Zimbabwe usw.). Da dort die Geldmenge weit über die produktiven Möglichkeiten hinaus vergrößert wurde, sank und sinkt entsprechend der Preis des Geldes im Verhältnis zu auswärtigen Währungen (Devisen), so dass vor allem Inflation importiert wurde. Unter diesem Gesichtspunkt macht der Zusammenschluss von nationalen Ökonomien zu internationalen Gemeinschaften mit einer gemeinsamen Währung durchaus Sinn.

Zu 3) Müller: „Auch die Geldmengensteuerung funktioniert nicht, wie von MMT behauptet: Zum einen wird die endogene Geldschöpfung durch Kredite  vernachlässigt (auch Forderungen können Zahlungsmittel sein), zum anderen fließt der exogene Geldfluss vor allem in die Spekulation mit Immobilien, Wertpapieren usw.

Vollkommen richtig!  Wenn es für das Geld keine produktiven realwirtschaftlichen Anlagemöglichkeiten gibt, fließt es in die Spekulation (Wertpapiere, Immobilien usw.), erzeugt dort spekulative Blasen, irgendwann platzt die erzeugte Spekulationsblase, und das aus dem Nichts erzeugte Geld verschwindet wieder im Nichts und muss durch neues Geld aus dem Nichts ersetzt werden. Ein idiotischer Kreislauf!.

Richtig ist auch, dass die Geldmenge nicht allein von der Zentralbank bestimmt werden kann, so zum Beispiel verdoppeln sich bei einer Kreditaufnahme die Zahlungsmittel, da man Forderungen ja auch verkaufen und somit selbst als Zahlungsmittel einsetzen kann. Nur glaube ich, dass Müller diesen „endogenen“ Effekt derzeit überschätzt. Angesichts zurzeit geringer Profitaussichten, dürfte dieses Kreditgeschäft eher schwächeln, und die Geldproduktion der EZB ist eher ein Versuch, dies zu kompensieren.

Zu 4) Müller: „die MMT vernachlässigt die eigentlichen Krisenursachen (Profit- und Wettbewerbs-zwänge), die durch „Geldschwemme“ nicht beseitigt werden können.“

Das stimmt nur teilweise. Denn mit seinem Zentralbankgeld kann der Staat selbst als Kunde z.B. für Infrastrukturprojekte auftreten oder auch eine schwächelnde Konjunktur beleben.

Zu 5) Müller: „MMT kann nicht, wie beabsichtigt, Vollbeschäftigung herstellen.“

Stimmt!  Natürlich ist MMT kein Mittel zur Rettung der Lohnarbeit und das ist auch gut so! Wenn der Einsatz von Technik die Arbeit produktiver macht, ist es nicht nur im kapitalistischen Interesse, Lohnarbeiter durch Maschinen zu ersetzen, sondern auch im Interesse der Menschen selbst, die auf diese Weise ihre Rolle als Lohnarbeiter loswerden oder zumindest relativieren können. Nur dazu muss man sich vom keynesianischen Lohnarbeitsfetischismus verabschieden, wonach Lohnarbeit oder Erwerbsarbeit die einzige legitime Einkommensquelle ist (von leistungslos empfangenen Dividenden für Superreiche mal abgesehen, die Eigentumsverhältnisse waren für Keynes ja immer heilig). Deswegen propagiere ich ja auch ein auskömmliches bedingungsloses Grundeinkommen, wobei mir bewusst ist, dass dieses auf Dauer nicht mit dem Kapitalismus kompatibel ist. Nur dann sollte der Kapitalismus weichen und nicht das BGE. 

Zu 6) Müller: „MMT erzeugt Inflationsgefahr“

Das stimmt nur in einer Wirtschaft, in der ein Geldüberhang nicht durch Ausweitung der Warenmenge kompensiert wird; in kleineren importabhängigen Ökonomien (siehe zu 2)    “ haben wir eine sogenannte „Vermögensinflation allerdings bei Wertpapieren oder Immobilien, wobei „Vermögensinflation“ nur ein anderes Wort für Spekulation ist (siehe zu 3)

II

Nur was folgt aus Müllers Überlegungen? Sicher befindet sich das Kapital derzeit in einer Verwertungskrise. Dogmatische Marxisten folgern hieraus, dass wegen solcher Verwertungskrisen der Kapitalismus irgendwann zusammenbricht und noch dogmatischere konstruieren sogar noch einen naturgesetzlichen Automatismus, dass darauf zwingend Sozialismus und dann Kommunismus folgt.

Nur das wird gewiss nicht passieren! So dass diese Dogmatiker immer mehr Weltuntergangssekten ähneln, denen nach mehrfacher Falschprognose die „Kundschaft“ wegläuft.

Tatsächlich sind solche Krisen eines der Lebenselixiere des Kapitalismus, um sich zu erneuen oder sogar neu zu erfinden. Und seien es zivilisatorische Katastrophen, wie Bürgerkriege, Weltkriege oder auch ökologische Zusammenbrüche, der Kapitalismus wird anschließend noch da sein und erneut Kapital akkumulieren. Allerdings wäre es im bestverstandenen Interesse der menschlichen Zivilisation, diese kapitalistische und profitorientierte Hülle schnellstmöglich abzustreifen. Das passiert aber nicht von selbst, dafür bedürfte es einer voluntaristischen gesellschaftlichen Anstrengung, für die gewiss objektive Voraussetzungen gegeben sind, leider aber nicht die subjektiven, so dass wir kleinere Brötchen backen müssen.

Ein aktuelles Beispiel dafür, wie der Kapitalismus noch von seinen eigenen Krisen profitiert, ist der „Green New Deal“: Inhaltlich wird da die Beseitigung von vom Kapitalismus selbst verursachten Schäden versprochen, und zwar durch gewaltige Investitionen in eine als „ökologische Erneuerung“ erklärte Transformation. Dies allerdings in Form hochprofitabler Geschäftsmodelle, die es nur deshalb gibt, weil der Kapitalismus vorher ausreichend Unheil angerichtet hat (makabre Realisierung: Tesla in Brandenburg).

Finanziert werden soll dies vor allem via MMT-Schulden. Ökonomisch könnte dies sogar funktionieren, denn im Gegensatz zu Müllers Annahme, wird dieses Geld nicht verspekuliert, sondern als seinen Gegenwert reale Werte geschaffen (wenn auch gewiss nicht „Vollbeschäftigung“ restauriert).

Meine Kritik darin ist ökologisch: Denn auch diese Investitionen können so viele Treibhausgase  emittieren, dass genau deswegen die Kipppunkte gerissen werden, die uns die Klimaforscher präsentieren, wenn nicht woanders profitträchtige, aber klimaschädliche Produktion stillgelegt wird.

Nur dann funktioniert der Kapitalismus (bei dem der Profit der allesentscheidende Antrieb für wirtschaftliche Aktivität ist) nicht mehr, weil Wachstum durch Profit einerseits durch Schrumpfung andererseits kompensiert wird. Und Wachstum, das notwendigerweise exponentiell sein muss, verträgt sich nicht mit endlichen Ressourcen.

Gerade die Keynes-Konzepte, die auf einen Klassenkompromiss zielen, brauchen Wachstum für Verteilungsspielräume zwischen den Klassen. Ohne Wachstum auch keine Spielräume. Das ist auch empirisch bewiesen: bis ca. 1974 war Keynes Theorie in den kapitalistischen Metropolen die vorherrschende ökonomische Theorie, doch mit der seit der Ölkrise eintretenden Wachstumsflaute übernahm der Neoliberalismus das Kommando.

Mein Fazit: MMT ist okay, allerdings nicht als Wachstumsgenerator. Wir können es aber gut gebrauchen, um aktuelle Schäden zu reparieren, zum Beispiel die durch die Corona-Krise provozierten, mehr nicht!

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