März 28, 2024

Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE)

Studie des DIW u. a.  –  Ein Kommentar

von Karl Mahlstedt

Das DIW und andere wollen jetzt das BGE „wissenschaftlich untersuchen“. Wer es etwas genauer wissen will, hier ein Link von vielen. https://www.n-tv.de/politik/Keine-einzige-Person-ist-faul-geworden-article21992220.html  Und hier noch mal meine Kurzzusammenfassung: 

Das Konzept der Studie als solche

In einer ersten Phase bekommen von 1500 „ausgewählten Finalisten“ 150 ein BGE in Höhe von 1200 Euro 3 Jahre lang, die anderen 1350 nicht, die bilden die Vergleichsgruppe. Via Fragebogen und Tiefeninterviews soll dann herausgefunden werden, wie sich diese „Versuchskaninchen“ dabei fühlen („bessere“ soziale Beziehungen, kognitive Leistungen, politische Entscheidungen“ usw.).

Bei „Erfolg“ startet ein Jahr später eine zweite Phase:  bei einer anderen Gruppe wird das Einkommen auf 1200 Euro aufgestockt. (Frage: Ist das soziale Sicherheit?)

Und dann gibt es noch eine dritte Phase: die hier ausgewählten Kandidaten bekommen zwar 1200 Euro monatlich, von ihrem restlichen Einkommen müssen sie aber 50% abliefern. (Frage: Wie sieht es mit der Finanzierbarkeit aus?)

Meine Kritik am Konzept

Die Fragestellung zielt an den eigentlichen Notwendigkeiten eines BGE vorbei.

Zur ersten Phase:  Das BGE ist nicht notwendig zur „Menschenverbesserung“, sondern aus ganz anderen Gründen (siehe dazu unten). So ist ziemlich sicher, dass man sich bei zusätzlichen 1200 monatlichen Euros besser fühlt als ohne (das war schon in Finnland bei 600 Euro so) und auch die „Menschenverbesserung“ in vielen Fällen gelingen wird, was allerdings nicht zwingend ist, nur darauf kommt es eben nicht entscheidend an.

Zur zweiten Phase: dass man sich mit regelmäßigen monatlichen 1200 Euros sozial sicherer fühlt, als wenn man weniger hat, weiß ich auch jetzt schon. 

Zur dritten Phase: Wenn vom zusätzlichen Einkommen 50% abgezwackt wird, wird das die Reichen ärgern und die Armen freuen, auch davon können wir ausgehen.

Die tatsächlichen Notwendigkeiten eines BGE

Hier kommen jetzt einige Punkte, locker aufgezählt:

Die fortschreitende Automatisierung der Arbeit, die die Menschen von monotoner Arbeit entlastet, ist „an sich“ ein Segen, verwandelt sich aber unter den bestehenden kapitalistischen Bedingungen in ein soziales Desaster.

Die im gegenwärtigen System nunmehr beginnende zwanghafte Suche nach neuer Lohnarbeit bringt vor allem prekäre Arbeitsplätze hervor, die schlicht überflüssig sind (das Kurierunwesen), in der Pflege, die in der Familie viel besser geleistet werden könnte, wenn die Familienmitglieder hinreichend Muße hätten, anstatt die Pflege zu kommerzialisieren (wodurch zu pflegende Menschen zu bloßem Rohstoff für Profitinteressen werden), im Reinigungsgewerbe, wo eine Robotik längst erfunden ist (Japan, Südkorea), die bei uns nur deswegen nicht zur Anwendung kommt, weil es billiger ist, Menschen zu Hungerlöhnen arbeiten zu lassen.

Der bestehende Lohnarbeitsfetischismus privilegiert bezahlte Arbeit und diskriminiert unbezahlte Arbeit, die für das gesellschaftliche Funktionieren genauso wichtig ist (Hausarbeit, Kindererziehung, Nachbarschaftshilfe, ehrenamtliches Engagement und auch auf die Gesellschaft bezogenen Aktivismus, wie politische, gewerkschaftliche Arbeit oder die anderer NGOs).

Und ein Teil gut bezahlter Lohnarbeit sollte besser heute als morgen verschwinden, weil sie nur Unheil stiftet (Kriegswaffenarbeit, Braunkohlearbeit, Agrargiftarbeit um nur einige Beispiele zu nennen) und zwar ohne die dortigen Arbeiter deswegen in einen sozialen Abgrund zu stürzen.

Im Übrigen soll Lohnarbeit ja auch nicht abgeschafft werden, sondern aus einem Zwang wird eine Option.

Wobei die Notwendigkeit von Infrastrukturinvestitionen unbestritten ist, da mögen auch viele neue und gesellschaftlich sinnvolle Arbeitsplätze entstehen. Nur man sollte nicht das Ziel verfolgen, alle anderswo wegfallenden Arbeitsplätze hier vollständig ersetzen zu wollen. Außerdem bewirken solche Infrastrukturinvestitionen zumindest kurzfristig erhöhte CO2-Emissionen (auch wenn sie deswegen langfristig sinken mögen), so dass man deswegen auch hier vorsichtig sein sollte.

Und das Wichtigste: ein auskömmliches bedingungsloses Grundeinkommen beseitigt Existenzängste und daraus resultierende „seelische und mentale Vergiftungen“.

Einige Anmerkungen zu den Kritikern „des BGE“

Der Schwindel ist hier bereits in der Überschrift implementiert: Da wird mit „dem bedingungslosen Grundeinkommen“ ein selbsterzeugter Popanz präsentiert, auf den dann kräftig eingedroschen wird, sehr gern auch von selbsternannten „Armutsforschern“, dies unter Ignoranz der Tatsache, dass es „das BGE“ nicht gibt, sondern sehr unterschiedliche Konzepte. Vielleicht könnte man ja von „Armutsforscher“ auf Geisterbahnbetreiber umsatteln, um dort seine Popanze einem erschrockenen Publikum zu präsentieren. Hier einige Details:

„Das BGE“ ist neoliberal! Ei der Daus! Richtig daran ist allerdings, dass nach meiner Kenntnis der Gottseibeiuns aller Linken, Milton Friedman als erster ein solches Konzept als „negative Einkommensteuer“ präsentierte, weil er erkannte, dass die von ihm propagierte Selbstregulierung der Märkte auf dem Arbeitsmarkt nur funktionieren würde, wenn ein Überangebot an Arbeitskräften nur durch Verhungern abgeschmolzen werden könnte, um dadurch ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage herzustellen. Das ging selbst ihm zu weit. Die negative Einkommensteuer, also eine von den Finanzämtern ausgezahlte Steuergutschrift, wenn man gar kein oder ein sehr geringes Einkommen hat, sollte die Verhandlungsmacht der Arbeiter stärken, um am Arbeitsmarkt halbwegs auskömmliche Löhne herauszuholen. Eigentlich ein Systembruch in seinem Modell, wo der Staat sonst nur als Störenfried eines sich selbst regulierenden Marktes wahrgenommen wird, was immerhin zeigt, dass er trotz seiner sonstigen Denke noch einigen humanitären Prämissen folgte. Natürlich gibt es auch Konzepte, die sehr nahe am Neoliberalismus sind (Bürgergeld der FDP, Althaus-Konzept in der CDU usw.), aber es gibt eben auch andere, die weit davon entfernt sind und den Beziehern Rahmenbedingungen für ein gutes Leben garantieren würden.

„Das BGE“ macht faul! Um Gottes willen! „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen“, sprach dieser Gott. Nur war das als Strafe dafür gedacht, dass Eva und Adam nicht dumm bleiben wollten sondern nach Erkenntnis strebten. Die Geiferer, die heute anderen keine Faulheit gönnen wollen, sind dieser unsympathischen und missgünstigen Gottesfigur sehr ähnlich. Gewiss mag es sein, dass einige auch faul werden, die meisten werden sich nach aller bisherigen Erfahrung eine sinnstiftende Tätigkeit suchen. Und anstatt von „Faulheit“ könnte man auch von „Muße“ sprechen, schon entsteht durch bloße semantische Verschiebung ein ganz anderer Sound. Die altgriechischen Philosophen, denen wir bis heute allerhand bahnbrechende Erkenntnisse verdanken, wären beleidigt gewesen, wenn man ihnen unterstellt hätte, sie hätten dafür „gearbeitet“.

Die Verweigerung von Lohnarbeit blockiert die Selbstverwirklichung: Sich Selbstverwirklichung nur als Lohnarbeit vorstellen zu können, belegt eine arg reduzierte Denke. Natürlich wird es einige Glückliche geben, die mit ihrer Selbstverwirklichung zusätzlich noch ein gutes Einkommen erzielen können, die Mehrheit ist das ganz gewiss nicht. Bei denen fängt die Selbstverwirklichung nach „Feierabend“ an, sofern die vorherige Arbeit nicht zu viel Energie absorbiert hat.

„Das BGE“ ist nicht finanzierbar. Dies ist der einzige Einwand, den ich ernst nehme. Durchgerechnet sind meines Wissens nur zwei Konzepte: Einmal das Althaus-Modell, durchgerechnet von der Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU. Hiernach ist dieses Konzept „aufkommensneutral“, wenn dafür alle anderen Sozialleistungen gestrichen werden. Nur ist genau aus diesem Grund dieses Konzept keinesfalls zu empfehlen. Im Übrigen liefert gerade dieses Konzept allerhand Rohstoff für die Erzeugung der oben erwähnten Popanze.

Das andere durchgerechnete Konzept kommt von der BAG „Grundeinkommen“ in der Linken, ist dort allerdings bislang nicht mehrheitsfähig. Da es meinen Intentionen aber ähnlicher ist, verlinke ich hier dieses durchgearbeitete Konzept: https://www.die-linke-grundeinkommen.de/fileadmin/lcmsbaggrundeinkommen/user/upload/NeufassungBGE_dinA5_16juni.pdf

Natürlich gibt es hier auch meinerseits noch Detailkritik: So erscheinen mir die vorgeschlagenen 1180 Euro monatlich nicht unbedingt als armutsfest und von einigen der dort vorgeschlagenen Abgaben halte ich nicht viel: So würde eine Sachkapitalabgabe die Automatisierung der Produktion abbremsen, und Energieabgabe und Microabgabe=Finanztransaktionssteuer sollen ja eine steuernde Wirkung haben, also Energieverbrauch oder Finanztransaktionen verlangsamen, so dass hier nicht mit zuverlässigen Einnahmen kalkuliert werden kann.

Bleibt die Einkommensteuer, die  für Großverdiener mit 35% BGE-Abgabe + 25 % Einkommensteuer höchstens 58 % beträgt. Vor den von mir genannten Hintergründen erscheint mir dieser Betrag zu niedrig, nach meiner Schätzung dürfte mit Steuersätzen über 70 % für Großverdiener zu rechnen sein.

Das dürfte den Kapitalisten mächtig an die Profite gehen, so dass wir schnell in eine Debatte über kapitalkonforme „Sachzwänge“ geraten könnten (Kapitalflucht, Kapitalverkehrskontrollen, BGE deswegen in nationalem oder internationalem Rahmen?). Diesen Debatten dürfen wir uns nicht entziehen, da müssen wir durch!

„Aufstehen“ ist nach meiner Vorstellung ein Projekt, um möglichst vielen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen und nicht, um den Kapitalismus zu retten. Und wenn sich herausstellt, dass der Kapitalismus ein gutes Leben für viele Menschen nicht (mehr) garantieren kann, dann stellt sich die Systemfrage. Dann ist ein auskömmliches BGE vielleicht ein Schritt aus dem Kapitalismus heraus zu einer besseren gemeinwohlorientierten Ökonomie.

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