März 19, 2024

Wiener Wohnen – Modell für Berlin?

von Sabine Scheffer, Peter Hoffmann und Petra Weingärtner

Unter diesem Titel fand am 19. Februar 2020 eine Podiumsdiskussion statt, die von der AG Wohnen, eine Arbeitsgruppe der Sammlungsbewegung Aufstehen Berlin, organisiert und durchgeführt wurde. Hans Jürgen Pieper eröffnete die Veranstaltung und begrüßte die Anwesenden im übervollen Clubraum des „Aufsturz“ in Berlin Mitte. Nach der Gründung von Aufstehen Berlin im September 2018, dem Strategie-Kongress im April 2019 und der Gründung der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ sowie der letzten großen Mieten-Demo fand die Gruppe von Mitstreiter*innen aus verschiedenen Bezirken zusammen. Die AG Wohnen reiht sich ein in die Mieter-Bewegung für den Mietendeckel mit ihren Aktionsbündnissen und Mieterorganisationen. Dabei erkannten die Mitstreiter schnell die Beschränktheit des Mietendeckels für das Ziel dauerhaften bezahlbaren Wohnraums und ihnen war klar, der Markt kann es nicht richten. Sie stießen auf das Wiener Modell. Ein durchgeführtes Seminar zum Wiener Modell und persönliche Kontakte nach Wien ermutigten zu dieser Diskussionsveranstaltung mit einer breiteren Öffentlichkeit. Das Ziel der Veranstaltung /1/war, Fragen aufzuwerfen, eine Diskussion in Gang zu setzen, die alle weiterbringt und Wohnen als Teil der Daseinsvorsorge und der sozialen Infrastruktur begreiflich zu machen. Pieper, der auch die Moderation der Veranstaltung übernahm, schloss seine Einführung mit den Worten: „Wir sind sicher, die richtigen Referenten eingeladen zu haben“, woraufhin er die hochkarätigen Gäste vorstellte:

Karin Zauner-Lohmeyer, Sprecherin von „Housing for All“, Expertin für Wiener Wohnen

Michael Prütz, Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen

Andrej Holm, Stadt- und Regionalsoziologe, Humboldt Universität

Zu Karin Zauner-Lohmeyer:

Sie ist bei der Wiener Stadtverwaltung beschäftigt, hat sich der EU-weiten Bürger*innen-Initiative „Housing for All“ angeschlossen und ist als deren Sprecherin, also als Privatperson, zur Veranstaltung gekommen, um aus erster Hand über das Wiener Modell zu berichten. Seit ca. 100 Jahren besteht in Wien der gemeinnützige Wohnungsbau, Gemeindebau genannt. 220.000 Wohnungen hat die Stadt in ihrem Bestand mit ca. 500.000 Mieter*innen; also jede oder jeder 4. in Wien kommt, wenn sie oder er einen Wohnbedarfsgrund vorweisen können und 2 Jahre in Wien gelebt haben, in den Genuss einer kommunalen Wohnung und das, wenn gewollt, bis ans Lebensende. Die Mieten sind per Gesetz festgelegt; für 5,86 € pro qm + Betriebskosten + 10 % Steuer kommen sie auf 8-9 € pro qm brutto kalt. Sie sind gestaffelt nach Ausstattungsmerkmalen und indexangepasst, d.h. es gibt nur Mietanpassungen gemäß Index (z.B. Lebenshaltungskosten).

Zauner-Lohmeyer betonte besonders die Mentalität in Wien, dass der Markt es nicht richten kann und dass Wohnen als ein Teil der Daseinsvorsorge angesehen wird. Es bedeutet, dass die Stadt den Menschen ausreichend leistbaren Wohnraum zur Verfügung stellen muss. Deshalb wurden vor 100 Jahren öffentliche Wohnungen gebaut, nie verkauft und bis heute als kommunaler Wohnungsbau in verschiedenen Formen kontinuierlich weiterentwickelt. Darauf seien die Wiener selbstverständlich stolz!

Zusätzlich sind in dieser Weise auch die Mieten der 200.000 Wohnungen des gemeinnützigen Wohnungsbaus gedeckelt. Während in Deutschland der gemeinnützige Wohnungsbau 1989 abgeschafft wurde, ist er in Wien Teil der städtischen Vorgaben ihrer konsequenten Stadtentwicklungspolitik.

Die Stadt Wien unterhält ein effizientes Land-M16anagement; sie greift ein in Spekulation mit Grund und Boden und nimmt Einfluss auf Bauland. Flächen im Eigentum der Stadt werden preisgünstig in Erbpachtverträgen an private Genossenschaften oder öffentliche Unternehmen abgegeben, die wiederum an niedrige Mieten für einen bestimmten Anteil ihrer Wohnungen gebunden sind. Genossenschaften erhalten in Wien ebenfalls zusätzliche Förderung. /2/ Die Rendite kann so auf 3% begrenzt und eine Pflicht zur Instandhaltung durchgesetzt werden. Allerdings handelt es sich um ein Mittelstandsprogramm, weil Interessenten sich einkaufen müssen, was einkommensschwachen Schichten nicht möglich ist. Trotzdem ist es für Wien ganz wichtig, dass dieser Bereich nicht dem freien Markt ausgesetzt wird, sondern bei der Miete streng begrenzt ist.

Darüber hinaus gibt es in Wien noch ein drittes Segment, die Altbaumieten. Mit der städtischen Einrichtung „Mieterhilfe“ werden Mieter gegenüber den Vermietern gestärkt und unterstützt bei ungerechtfertigten Mieterhöhungen und so eine Öffentlichkeit bei Fehlentwicklungen (Mietwucher) geschaffen.

Die Stadt unterhält außerdem Servicestellen, unter anderem besetzt mit Sozialarbeiter*innen, die sich um die Belange der Mieter kümmern, in Streitfällen vermitteln und vor allem beim Übergang aus Betreuungseinrichtungen oder dem Gefängnis helfen sowie sich um Vermeidung von Zwangsräumungen, in Österreich Delogierung genannt, bemühen. Hier nimmt die Stadt eine wichtige soziale Funktion wahr. Menschen in schwierigen Verhältnissen, problematische Jugendliche, ehemalige Obdachlose haben alle eine Chance auf angemessenen Wohnraum, vorausgesetzt sie sind wohnfähig. Die Mietverträge sind unbefristet.

Die Stadt betreibt also ganz aktive Wohnungspolitik auf Grundlage einer an den Menschen orientierten Stadtentwicklung. Das erfolgreiche Land-Management hat in Wien über die Jahre zu einem leistungsfähigen Bausektor geführt. Baufirmen vertrauen darauf, immer wieder neue Aufträge zu erhalten und haben damit eine große Planungssicherheit.

Als gravierende Schwäche in Wien benannte Zauner-Lohmeyer nach wie vor fehlenden Wohnraum für ganz Einkommensschwache. Wien ist attraktiv für Zuwanderung; es wird viel gebaut. Durch die Nähe zu Osteuropa kommen viele Menschen auch aus prekären Verhältnissen nach Wien, ebenfalls viele Obdachlose, die z.B. aus Ungarn vertrieben werden. Für sie müssen Wohnungen und Unterkünfte zur Verfügung stehen.

Das Wiener Modell auf Berlin zu übertragen, wäre gewiss keine leichte Aufgabe. Mieten müssten drastisch reguliert werden, öffentliche Flächen im angespannten Berliner Markt nicht meistbietend verkauft werden, sondern für preiswerten Wohnungsbau genutzt werden, leistungsfähige Baufirmen müssten sich bilden können. Vor allem ist ein Kampf um einen gemeinnützigen Wohnungsbau zu führen. „Es ist so wichtig, dass ihr euch wehrt“, gibt Karin Zauner ermutigend dem interessierten Publikum mit auf den Weg. Eine Sorge kann sie aber nicht verhehlen. Im Herbst dieses Jahres könnte die Sozialdemokratische Partei, der Garant für das Wiener Modell, abgewählt werden. Dagegen müssen auch sie und ihre Landsleute sich wehren.

In Wien leben 60 % der Bürger in öffentlich geförderten oder städtischen Wohnungen mit Mietpreisbindung. In Deutschland sind es nur 5-6 %, Tendenz rückläufig, da mehr Sozialwohnungen aus der Preisbindung fallen als neue hinzukommen.

Zu Michael Prütz:

Als Aktivist bei der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ in Berlin wohlbekannt, beschreibt er den Stand des Volksbegehrens als eine unendliche Zeit der Prüfung. Die Schuld daran gibt er der SPD, die zunächst in Gestalt des Innensenators Geisel sich für die Zulassung auszusprechen schien, dann aber vom Regierenden zurückgepfiffen wurde. Hintergrund ist eine Abstimmung der SPD auf ihrem Parteitag von 60 % zu 40 % gegen den Volksentscheid, in dem es um die Vergesellschaftung von Unternehmen mit einem Bestand über 3.000 Wohnungen geht. Nun aber steht sie mit CDU, FDP und AfD als Blockierer in einer Front zusammen – denn Die Linke unterstützt und die Grünen billigen das Volksbegehren. Ob der SPD das zusagt, ist äußerst fraglich.

Sollte die SPD nicht in Kürze aus den Puschen kommen, sagt die Initiative ihr den Kampf in Form einer Kampagne an. Mit vielfältigen Aktionen werden sie die SPD für die Blockade verantwortlich machen. Denn bekanntlich ist die Zustimmung der Berlinerinnen und Berliner groß; statt der erforderlichen 20.000 Stimmen wurden 77.000 eingereicht.

Zur Kritik an der Initiative vor allem durch Unternehmerverbände, CDU und FDP schildert Prütz sehr wortreich das Aktivisten-Bashing, die antisozialen und antisozialistischen Hetztiraden, die Verbreitung von Märchen und vor allem Gerüchte über verarmende Kleinvermieter, denen die Altersversorgung zusammenbreche. So auch das Beispiel einer Frau Haufe, das die FDP in der Abendschau des RBB präsentierte. Nach dem Kauf von 10 Eigentumswohnungen im Jahr 1994 in Prenzlauer Berg habe sie noch nicht einen Cent daran verdient.

Prütz rechnet vor, dass die Wohnungen 1994 noch 1000 € pro qm gekostet haben, seitdem schätzungsweise 1.000 bis 1.500 € pro Wohnung für Modernisierung verwendet wurden, inzwischen aber einen Riesengewinn erzielt worden ist, denn der Preis pro qm ist heute auf 6.000 € geklettert. Nach seiner Berechnung ist das ein Gewinn von 3,2 Mio. €, meint Prütz und schließt sarkastisch: „Mir kommen die Tränen!“

Leider bedauere niemand die 280.000 Kunden der Sparkasse und frage auch nicht danach, wie sie ihre Altersversorgung aufbringen, nachdem ihre Prämiensparverträge im Januar fristlos gekündigt wurden, weil der Bank die Zinsen zu hoch sind, fügt Prütz nicht weniger sarkastisch hinzu.

Was kommt nach einem erfolgreichen Volksentscheid?

Im Falle eines erfolgreichen Volksentscheids sollen nach Auffassung der Initiative keine neuen Wohnungsbaugesellschaften der derzeitigen Prägung aufgebaut werden. Vielmehr sollen Anstalten öffentlichen Rechts (AöR) im Sinne des Wiener Modells zum Gemeinwohl beitragen. Mehr über „Vergesellschaftung und Gemeinwirtschaft“ ist einer Broschüre der Initiative zu entnehmen. /3/

 Die Verwaltung soll, wie der Name schon sagt, im Verantwortungsbereich der Öffentlichen Hand und ihrer Beschäftigten liegen – mit weitgehenden Mitbestimmungsrechten für die Mieterinnen und Mieter. Die so hinzugewonnenen ca. 250.000 Wohnungen würden auch Wohnraum für diejenigen schaffen, deren Chancen am Wohnungsmarkt bisher gering sind, z.B. Frauen aus Frauenhäusern, Jugendliche und sesshaft gewordene Obdachlose.

Eine Entschädigungszahlung ist gesetzlich vorgeschrieben. Über die Höhe gibt es unterschiedliche Auffassungen. Der Senat veranschlagte zunächst 33 Mrd. € und reduzierte dann auf 27 Mrd. €. Berechnungen der Initiative haben dagegen Zahlungen zwischen 8 und 18 Mrd. € ergeben. Zu diesem Thema wird die Initiative in Kürze einen Lehrfilm herausbringen. Bei 8 Mrd. € würde die Miete unverändert bleiben, während sie bei 18 Mrd. € um 0,97 € abgesenkt werden könnte. Zur Finanzierung sollen keine Steuern eingesetzt werden; eine Anschubfinanzierung durch den Senat soll den Aufbau der Verwaltung ermöglichen und ein langfristiger zinsgünstiger Kredit soll durch die Mieten abbezahlt werden. Im Ergebnis soll diese Finanzierung de facto haushaltsneutral sein.

Vergesellschaftung und Mietendeckel ergänzen sich

Prütz stellt die Verbindung seiner Kampagne zum Mietendeckel in einem eindrucksvollen Bild her, „mit ‘nem Deckel alleine kann man keine Suppe kochen: man braucht einen Topf“. Dieser ist die Vergesellschaftung der Wohnungsbestände und die zu schaffende Anstalt öffentlichen Rechts. Eine kommunale Baufirma könnte die städtischen Bauvorhaben und die zu gründende AöR ergänzen und deren Beschäftigten sichere Arbeitsplätze mit tarifgebundenen Löhnen und Gehältern bieten.

Der Mietendeckel wird von Prütz als Erfolg gewertet; natürlich vorausgesetzt, er ist rechtssicher, hält er für 5 Jahre. Diese Zeit wird gebraucht, um die Wohnungsbestände zurückzuholen und die Situation auf dem Mietmarkt langfristig steuern zu können. Damit die Bürger wieder eine reale Chance haben, bezahlbare Wohnungen zu bekommen.

Trotz dieser aussichtsreichen Perspektiven geht Prütz davon aus, dass es großer Kraftanstrengungen und immenser Mobilisierung der Bevölkerung bedarf, gegen die Bemühungen der Immobilienwirtschaft und der Bauindustrie, diese Vorhaben zu unterlaufen oder direkt zu sabotieren, erfolgreich vorzugehen. Sie werden nichts unversucht lassen, den Mietendeckel zu kippen und den Volksentscheid zum Scheitern zu bringen. Alle müssen dagegenhalten!

Neubau: Ja, spekulativer Neubau: Nein

Zum Abschluss geht Prütz auf Fragen aus dem Publikum ein. Er tritt vehement dem Vorwurf entgegen, dass die Initiative sich dem Neubau verweigert. Sie verweigert sich nur dem spekulativen Neubau, den kaum jemand bezahlen kann. Außerdem weist er auf einen hohen Leerstand in Berlin hin. Zurzeit stehen 20.000 Wohnungen leer, eine große Anzahl von Häusern verfallen. Auch Luxuswohnungen sind aus Spekulationsgründen von Leerstand betroffen Die AG Wohnen von Aufstehen Berlin hat sich zur Aufgabe gemacht, auf das Problem des Leerstands aufmerksam zu machen und stellt eine Verbindung zum Leerstandsmelder her. /4/

Zu Andrej Holm:

Er ist Stadt- und Regionalsoziologe am Sozialwissenschaftlichen Institut der Humboldt Universität Berlin, forscht seit 25 Jahren zu Stadterneuerung, Gentrifizierung, Wohnungspolitik und ist bestens vernetzt mit städtischen Bündnissen und Bürgerinitiativen zu diesen Themen. Er trägt für die Veranstaltung Fakten zur Wohnungsproblematik zusammen und beurteilt sie aus wissenschaftlicher Sicht.

In Berlin steigen überall die Mieten und mehr als 5000 Zwangsräumungen pro Jahr sind weiterhin Alltag. Das sind Erfahrungen, die Berliner Mieter*innen in der sich immer weiter zuspitzenden Wohnungskrise ihrer Stadt machen. /5/

Warum ist das so?

Seit den 1990er Jahren steigen Angebots- und Bestandsmieten stetig an. Bis 2005 schlossen Mieter neue Mietverträge noch zu ähnlichen Konditionen wie ihre Vormieter ab; sie konnten bei gleichem Standard und gleicher Größe ohne höhere Kosten umziehen. Das ist längst vorbei und Umzüge sind kaum noch möglich, weil heute selbst eine kleinere Wohnung teurer ist als die alte größere. Neumieter zahlen fast das Doppelte als vor 5 Jahren, obwohl Löhne und Gehälter nur marginal gestiegen sind.

Heute ist der große Abstand zwischen Bestandsmieten und Neuvermietungen eine Besonderheit des Berliner Wohnungsmarktes und macht zudem die Stadt für Investoren interessant. Die Ertragslücke, die zwischen Alt- und Neuverträgen klafft, macht es für Vermieter attraktiver, die alten Mieter mit allen Mitteln loszuwerden. Mit Neuverträgen auf einen Schlag eine wesentlich höhere Miete zu kassieren, ist der Verdrängungsmotor. Noch höhere Profite versprechen zudem die Umwandlung in Eigentumswohnungen plus Verkauf nach Verdrängung der Altmieter. Die wiederum leiden unter vorgeschobenen Eigenbedarfskündigungen ohne nachvollziehbare Gründe. Die große Zustimmung zum Volksbegehren und zum Mietendeckel lässt sich hieraus erklären.

Private Gewinnmaximierung durch das Geschäftsmodell Verdrängung

Als Grund für die exorbitanten Mietsteigerungen wird von der Immobilien-Lobby der Bevölkerungszuwachs der letzten Jahre verantwortlich gemacht, obwohl in der Vergangenheit die Bevölkerung wuchs, ohne dass die Mieten im damals regulierten Markt anstiegen. Das Angebot- und Nachfragemodell, die vielgepriesenen Markt-Mechanismen, sind also Augenwischerei.

Durch den starken Zuzug nach Berlin hat sich das Mantra Bauen! Bauen! Bauen! entwickelt. Für private Bauunternehmen ist das ein lukratives Geschäft, in dem sie damit die nächsthöhere Gewinnstufe erreichen.

Eigentümerwechsel ist verantwortlich für höchste Mietsteigerungen

Mietpreise steigen überall da am höchsten, wo die Verdrängung am größten ist, und zwar nach einem Eigentümerwechsel. Diese neue Erkenntnis ergibt sich aus Befragungen von 150 organisierten Hausgemeinschaften und wurde weiter beforscht. Ergebnis ist, dass das Volumen bebauter Grundstücke von 4.000 Mrd. € im Jahr 2009 auf 11 Mrd. € 2019 angestiegen ist bei unveränderter Zahl von 4.000-5.000 Verkäufer.

Eine dreimal so hohe Preissteigerung wie vor 10 Jahren setzt eine bestimmte Ertragserwartung voraus, dass das Geld aus den Grundstücken zum Investor zurückfließt. Mit Bestandsmieten kann dieser hohe spekulative Kaufpreis trotz günstiger Zinsen nie und nimmer refinanziert werden. Verdrängung als Geschäftsmodell ist bereits eingepreist, also mitbezahlt. Das erklärt auch die Empörung über den Mietendeckel von derjenigen, die gerade Grundstücke mit Häusern neu erworben haben. Eine Kalkulation von Mietpreisen in Höhe von 15-16 € pro qm ist durch den Mietendeckel nicht mehr möglich; er zerstört die wesentliche Grundlage dieses Geschäftsmodells.

Für Mieter ist die Wohnung ein Zuhause, für Investoren ist sie eine Immobilie. Das sind 2 völlig konträre Interessen ohne Überschneidungen. Was für die einen ein Menschenrecht ist, ist für die anderen nur eine beliebige Geldanlage. Das Problem wird verstärkt durch die Finanzialisierung der Wohnungsversorgung: Wohnen wird für die Bauwirtschaft zu einer notwendigen Begleiterscheinung einer wirtschaftlichen Optimierung – das Ende der klassischen Wohnungswirtschaft mit langfristiger Planung. Es geht nicht mehr um die Häuser und die langfristige Entwicklung unserer Städte. Es geht um andere Kriterien, z.B. um den Verkauf der Häuser und den Handel von deren Anteilen als Finanzprodukte an der Börse.

Wie konnte es dazu kommen?

Im Mai 1989, noch vor der Wiedervereinigung, wurde in Bonn die Gemeinnützigkeit für die Wohnungswirtschaft wegen angeblicher Steuerverschwendung abgeschafft – ein Tabubruch der alten Bundesrepublik. Auf diese Weise sind 4,5 Mio. gemeinnützige Wohnungen in Marktgüter umgewandelt worden. Die nächste Privatisierungswelle erfolgte 1990, als im Einigungsvertrag im Rahmen der Restitutionsregelung eine Rückübertragung der Besitzverhältnisse auf die Alteigentümer stattfand. Anstatt Entschädigungen zu vereinbaren, wanderten die meisten Altbauten in öffentlicher Hand in privaten Besitz und von dort aus direkt an professionelle Immobiliengesellschaften, wie Studien belegen. Eine weitere Privatisierungswelle erfolgte durch das Altschulden-Hilfe-Gesetz (ASHG). Die Bundesbank als Rechtsnachfolgerin der Staatsbank der DDR definierte die Effektiv-Zinsen des ostdeutschen staatlichen Wohnungsbaus und der Genossenschaften als reale Schulden. Im ASHG wurde ein Schuldenerlass geregelt, aber mit der Maßgabe, 15 % des Bestandes zu privatisieren.

Daran ist zu erkennen, dass Veränderungen in relativ kurzer Zeit erfolgen können, wenn sie politisch gewollt sind.

Sozialer Wohnungsbau, wie er in Deutschland funktioniert, ist Wirtschaftsförderung für private Eigentümer mit sozialer Zwischennutzung. /6/

Heute gibt es in Berlin nur noch 300.000 öffentliche Wohnungen statt 500.000 zu Beginn der 1990er Jahre und nur noch 100.000 Sozialwohnungen statt 360.000 Anfang der 1990er Jahre. Das sind 460.000 weniger mietpreisgebundene Wohnungen, die über öffentliche Kriterien vergeben werden.

Berlin ist mit 260.000 Bedarfsgemeinschaften, die Kosten für Unterkunft beantragen müssen und auf Hartz 4-Niveau leben, eine relativ arme Stadt. Dazu kommen 350.000 Haushalte mit geringem Einkommen. Würden diese Haushalte nur 30% ihres Einkommens für Miete ausgeben, dürfte die Miete nur 4,50 € pro qm betragen. Berlin braucht etwa 700.000 Wohnungen mit einem Mietzins von 4,50 Euro pro qm, wenn alle Haushalte mit wenig Einkommen zu leistbaren Mieten untergebracht werden sollen. Beim Mietendeckel bewegt sich der Preis zwischen 7,80 bzw. 9,20 € pro qm, was die privaten Vermieter vehement ablehnen. Mit ihnen ist die soziale Wohnversorgungsaufgabe demnach nicht realisierbar.

Im heute geförderten Wohnungsbau werden fast 100% der Zuschüsse und Darlehen aus öffentlichen Mitteln finanziert, und trotzdem ist die Sozialbindung auf 20 bis 30 Jahre befristet. In keinem anderen europäischen Land zahlt der Staat so viel Geld, um die Wohnungen zum Schluss in private Vermietungsverhältnisse zu überführen. Gebraucht werden Dauerbindungen entweder im öffentlichen Bereich oder in gemeinnützigen Beständen.

Diese Bedarfslücke ist mit über 300.000 Wohnungen größer als die Anzahl der Wohnungen, die durch „DW & Co. enteignen“ vergesellschaftet werden sollen. Wien hat einen weit höheren Anteil an gemeinnützigen und Gemeindewohnungen als Berlin – in Wien ist er etwa die Hälfte, in Berlin nur etwa ein Viertel des Bestandes. In Berlin nimmt die Zahl sogar weiter ab, weil die Wohnungen aus der Sozialbindung fallen. Durch Vergesellschaftung in Berlin könnten Wiener Verhältnisse herbeigeführt werden.

Die öffentliche Verantwortung für soziale Wohnversorgung ist dazu eine Voraussetzung. Wohnen muss Teil der Daseinsvorsorge und einer sozialen Infrastruktur werden. 

Trotz rechtlicher Schranken, die Berlin aufgebaut hat, werden sie von privaten Vermietern umgangen, um ihre Ertragserwartungen erreichen zu können. Dieses Problem kann erst gelöst werden, wenn die Wohnungen in öffentlicher Verwaltung sind, weil die sich an die Regeln halten müssen.

Neubau wird in Berlin gebraucht, aber nicht als Masse. Bezahlbar und in guter Qualität muss er Teil der Stadtentwicklung sein, an der Bürger beteiligt werden.

Kann die Öffentliche Hand preiswerter bauen?

Wovon sind aber die Preise abhängig? Von Bodenpreisen, den Finanzierungsmodellen und den Ertragserwartungen, außerdem von den Baukosten. Die Höhe der Ertragserwartungen an eine Eigenkapitalverzinsung beeinflusst die Baukosten erheblich. Verzicht auf 1% Eigenkapitalverzinsung bringt 30-40 Cent Mietsenkung pro Quadratmeter. Die Finanzierung ist das entscheidende Kriterium, weniger die Baukosten.

Ein günstiger Kredit oder ein zinsloses Darlehen für die Öffentliche Hand sind wichtige Kriterien für günstiges Bauen. Die Öffentliche Hand muss ihren Kredit nicht nach 25 Jahren zurückzahlen, sondern hat 80 bis zu 100 Jahre dafür Zeit.

Die heutigen Wohnungsbau-Gesellschaften zeigen in ihren Kalkulationen, dass sie nicht preiswerter bauen können. Die derzeitigen gemeinwirtschaftlichen Wohnungsbau GmbHs müssen sich an das Aktienrecht halten. Als gemeinnützige Gesellschaften (gGmbH) wären sie öffentliche Zweckbetriebe und müssten ihre Gewinne in ihre Häuser reinvestieren. Als Anstalt öffentlichen Rechts wären die derzeitigen Geschäftsführer zudem hohe Beamte, die zwar immer noch ein mehr als auskömmliches Einkommen, nicht aber in der schwindelnden Höhe hätten.

Fazit:

Eines ist klar geworden: wir brauchen einen wohnungspolitischen Kurswechsel in Berlin, der auch Eingriffe in das Wohnungsmarktgeschehen beinhaltet. Die gemeinwohlorientierte und öffentliche Wohnungsbewirtschaftung muss gestärkt und eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit mit dauerhafter Sozialbindung eingeführt werden. Als letzte Lösung bleibt, Grund und Boden von Wohnungsunternehmen, die nicht sozial verantwortlich mit ihrem Wohnungseigentum umgehen, mit Wohnraum spekulieren, horrende Mietpreissteigerungen fordern oder Wohnraum verwahrlosen lassen, zu vergesellschaften. Bauland muss jetzt vermehrt für gemeinwohlorientierte Bauvorhaben bereitgestellt werden. Vorerst muss der Senat konsequenter und stärker Mieter*innen Schutz vor Wohnungslosigkeit, steigenden Mieten und Verdrängung bieten.

Die gesamte Veranstaltung kann als Video unter folgendem Link angesehen werden: