von Petra Weingärtner
Die Schwächsten unserer Gesellschaft halten zurzeit den Betrieb am Laufen. Neben der medizinischen Versorgung, die schon jetzt am Limit mit zu wenigen Ärzten und zu wenigen und unterbezahlten Pflegekräften ausgestattet arbeitet, sind es die Lebensmittel-Geschäfte, die Transport- und Lieferdienste, die städtischen Dienstleistungen, meist schlecht bezahlte und wenig wertgeschätzte Berufsgruppen, die sich zudem oft ohne Schutz den Risiken der Ansteckung im öffentlichen Raum aussetzen müssen, um die Grundversorgung im Lande aufrecht zu erhalten.
Jetzt zeigt sich überdeutlich, dass sie die Leistungsträger der Gesellschaft sind;
sie haben ein besseres Leben, ein höheres Einkommen und unseren Dank verdient.
In dieser Krise ist es dringend geboten, Menschen, die sich mit Mindestlohn begnügen müssen, die befristet bzw. auf Abruf beschäftigt, die auf Gelegenheitsarbeiten angewiesen sind und deren Lohn nicht zum Leben reicht, die ihren Job verloren haben, denen der Verlust ihrer Wohnung droht, die ihre Wohnung bereits verloren haben und auf der Straße leben, all denen, muss jetzt finanziell über die für sie besonders schwere Zeit geholfen werden.
Schließen wir uns daher unseren Mitstreitern aus Prenzlauer Berg/Friedrichshain an und fordern den Senat von Berlin auf, eine Milliarde Euro über die Bezirke als Notgeld bedarfsgerecht auszugeben.
Fordern wir auch ein Mietbürgschaftsprogramm zur Vermeidung von Wohnungsverlusten.
Es sind zwar bereits einige Hilfsprogramme aufgelegt worden. In erster Linie sind es aber Kredite für die Wirtschaft sowie Kurzarbeitergeld für Angestellte. Es werden aber Spezialprogramme für freie Mitarbeiter, für Solo- und Scheinselbstständige und sonstige prekär Beschäftigte dringend benötigt, um sie für ihren Verdienstausfall zu entschädigen und Wohnungsverlust vorzubeugen.
Wer die bestehenden Hilfsprogramme für die Wirtschaft näher betrachtet, stellt fest, dass insbesondere gut aufgestellte Unternehmen von diesen Krediten profitieren, während jüngere, vor allem neu gegründete sowie kleine und mittlere Unternehmen ohne Rücklagen leer ausgehen. Denn die Mittel werden von der KfW-Bank über die jeweilige Hausbank, die für einen, wenn auch geringen Teil der Summe haftet, zur Verfügung gestellt. Um in den Genuss der Kredite zu kommen, müssen ihre Kunden positive Jahresabschlüsse vorweisen.
Die meisten kleinen und mittleren Unternehmen können dies in den ersten Jahren ihres Bestehens und oft auch später eher nicht erfüllen. Ähnlich verhält es sich mit den Stundungen durch die Finanzämter. Sie berücksichtigen dafür in der Regel die kommenden Monate. Die ersten Monate des Jahres sind die am wenigsten umsatzstarken, die Hoffnung auf bessere Umsätze steigt zum Frühjahr und Sommer. Bricht dann der Umsatz ein oder fällt sogar aus, sind auch die Vorauszahlungen bzw. Umsatzsteuern der vorangegangenen Zeit nicht mehr leistbar. Sie müssen angepasst werden. Erschwerend kommt hinzu, dass KfW, Banken, Finanzämter in der Vergangenheit Personal eingespart haben, zurzeit eine Notbesetzung vorhalten und die Flut von Anträgen kaum bewältigen können. Trotz vollmundiger Angebote von Politikern müssen immer noch individuelle Anträge gestellt werden. Bisher scheinen pauschale Auszahlungen (noch) nicht umsetzbar zu sein.
Auch neuere Fonds, die verschiedenen Unternehmensgruppen verzinste Kredite mit längeren Laufzeiten in Aussicht stellen, können nur vorläufige Angebote sein, die weiterhin neuen Entwicklungen angepasst werden müssen. Da niemand weiß, wie lange diese Krise dauern wird, muss der Staat auch zinslose Darlehen anbieten und für gewisse Fälle den Ausfallschutz übernehmen. Sonst sind trotz großer Finanzmittel und beschwichtigender Worte durch Politiker massenhafte Pleiten und Arbeitsplatzverluste unvermeidbar.
Lange genug haben wir uns in die Irre führen lassen und sind den schönredenden Parolen aufgesessen, die besagen, dass es uns allen ja so gut geht, obwohl wir genau wissen, dass das zwar für gut Qualifizierte in sicheren Positionen zutrifft, die weniger gut Qualifizierten aber jeden Tag ums Überleben kämpfen müssen.
An diesen Zustand dürfen wir uns nicht gewöhnen.
Genau jetzt ist der Zeitpunkt, das zu ändern.
Viel zu lange haben wir uns dem neoliberalen Diktat gebeugt und hingenommen, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander geht: die Reichen werden immer reicher und die Armen immer mehr.
Viel zu lange haben wir geglaubt, dass jede und jeder alles erreichen kann, wenn sie oder er es nur will und sich richtig anstrengt.
Viel zu lange haben wir geglaubt, dass alles einen Preis am Markt hat, dass Humankapital die Arbeitswelt beherrscht, dass jede und jeder das erwirtschaftet und dementsprechend bezahlt wird, was für ihren oder seinen Marktpreis gehalten wird.
Jetzt muss Schluss sein damit!
Es ist höchste Zeit, dass wir uns statt auf den Wert des Marktes auf die Werte besinnen, die der Gesellschaft guttun. Der Markt spielt dabei eine wichtige Rolle, die Arbeitsplätze auch. Aber die Gesellschaft braucht dringend den Kitt, der sie wieder zusammenführt und zusammenhält.