von Petra Weingärtner
Über 90 % der Klimawissenschaftler aus 80 Ländern haben herausgefunden und unabhängig voneinander in Studien belegt, dass die globale Erderwärmung von Menschen gemacht ist und das Klima verändert. Der zunehmende CO2-Gehalt in der Atmosphäre wird dafür verantwortlich gemacht. Inzwischen sind Klimaveränderungen bereits spürbar. Es wird Zeit, dass wir uns rasch damit beschäftigen, was wir tun können, um Schlimmeres zu verhindern.
Es ist überaus wichtig, unseren eigenen Lebensstil dahingehend zu prüfen, ob wir unseren „ökologischen Fußabdruck“ verringern können, mit dem jede Art von Aktivität, jede Einzelperson, jedes Unternehmen, jede Gemeinschaft sowie Städte und Länder berechnet werden kann. Ein Test hilft dabei, den eigenen Umfang herauszufinden. Genauso wichtig ist es, dass wir uns ernsthaft mit visionären Konzepten beschäftigen. Hier kann unser Beitrag ein Anfang sein.
Die Jugend hat sich politisiert
So ist es nicht verwunderlich, dass ein größer werdender Teil der jungen Generation, der die Auswirkungen gewiss erleben wird, inzwischen in der ganzen Welt seit Monaten in regelmäßig stattfindenden Demonstrationen und Aktionen Politik, Wirtschaft, Gewerkschaften und Bevölkerung drängt, endlich zu handeln.
Hat die EU tatsächlich ein schlüssiges Konzept?
Dem Druck der Jugendlichen ist es wohl in erster Linie zu verdanken, dass die EU-Kommission unter Leitung von Ursula von der Leyen ein Konzept zu einem sog. „Green Deal“ vorgestellt hat, in dem ressourcenschonendes Wachstum gefördert werden soll. Bis 2030 sollen aus dem EU-Budget 485 Milliarden Euro kommen. Das bedeutet, dass ungefähr ein Viertel der künftigen Ausgaben in der EU für Klimaschutz aufgewendet werden soll. Weitere 280 Milliarden Euro sollen über private oder öffentliche Investitionen eingeholt werden. Das Kernstück soll ein Übergangsfonds bilden, der 30 bis 50 Milliarden Euro für den Strukturwandel eintreiben soll, um den sich strukturschwache Länder bewerben können. Auf diese Weise soll Europa bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent werden. Kritiker meinen, der Green Deal der EU sei finanziell viel zu eng bemessen, um die europäische Industrie, Infrastruktur und Landwirtschaft aus ihrer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu befreien. Außerdem müsse die EU dem Dogma des endlosen BIP-Wachstums abschwören und dürfe sich nicht länger am herrschenden neoliberalen Wirtschaftsmodell orientieren. Völlig unklar bleibt letztlich, wie die EU ihre Mitgliedsstaaten überzeugen will, sich an der erforderlichen Co-Finanzierung zu beteiligen. Außerdem könne man öffentlich-privaten Partnerschaften nicht eine derartig fundamentale Umsteuerung der Wirtschaft überlassen; diese gehöre in die Obhut und Steuerung durch den Staat.
Welche vorgegebenen Ziele müssen wir erreichen?
Der im Oktober 2018 erschienene Bericht des UN-Weltklimarates (IPCC) hat den Ruf nach einem tiefgreifenden Wandel auch in der Öffentlichkeit endlich lauter werden lassen. Die zentrale Forderung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler lautet, dass die Erderwärmung bis zum Ende des Jahres 2030 um die Hälfte, und bis 2050 auf null reduziert werden muss. Unterhalb der Schwelle von 1,5 Grad bestehen demnach die besten Chancen, einen desaströsen Zusammenbruch zu verhindern, auf den wir bei der derzeitigen Tendenz in Richtung 3-5 Grad, zusteuern. Es bleiben also noch ca. 10 Jahre Zeit, diesen Transformationsprozess in Gang zu setzen, um den Prozess zu verlangsamen und im besten Fall aufzuhalten.
Es gibt viele Hindernisse
Es wird erforderlich, eine sofortige Wende in der Energieerzeugung, Landwirtschaft, im Verkehr und Wohnungsbau herbeizuführen. Das Wissen um diese Entwicklungen und ihre katastrophalen Auswirkungen ist vorhanden; trotzdem sind Umsetzungen in aktives Handeln noch nicht erkennbar. Probleme werden besonders in der hohen Komplexität durch die finanziellen Verflechtungen der Weltwirtschaft gesehen. Entscheidungen zur Veränderung bekommen dadurch eine enorme Tragweite, wobei deren konkrete Auswirkungen am Ende schwer vorhersehbar sind.
Postwachstumsgesellschaft – ein schwer umsetzbares Konzept
Konzepte liegen bereits vor und werden heftig und kontrovers diskutiert. Die Umformung zu einer „Postwachstumsökonomie“ bildet wohl die krassesten Einschnitte in die bisherige Wirtschafts- und Lebensweise. Eine Umwandlung in dieses System ist nur schwer vorstellbar. Regierungen, die diesen Versuch unternehmen wollten, würden unter den gegenüber den Staaten des globalen Südens noch weitergehenden bestehenden gesellschaftlichen und ökologischen Bedingungen wahrscheinlich sofort abgewählt. Zu langfristigen Aussichten können noch keine Aussagen gemacht werden.
Der Green New Deal for Europe – ein realisierbarer Plan von DIEM25?
Kurz- und mittelfristig wäre ein qualitatives Wachstum denkbar, das Teil eines Konzeptes ist, das die Anhänger der von Yanis Varoufakis initiierten Bewegung „DIEM25“ im Rahmen eines „Green New Deal for Europe“ aufgebracht haben. Ziel ist die sofortige Abkehr vom derzeitigen Wirtschaftssystem der reinen Profitorientierung in Richtung einer konsequent von ökologischen und sozialen Indikatoren geleiteten Wirtschaftsweise. Das Märchen vom unendlichen Wachstum sei vorbei. Trotzdem könne gesellschaftlicher Wohlstand weiterwachsen, indem ein Strukturprogramm mit Bezug zum Gemeinwohl (ähnlich Christian Felbers Konzept der Gemeinwohlökonomie) aufgelegt würde, das nicht auf Kosten der Ärmeren geht und Produktionsformen und Belegschaften unterstützt, die nachhaltig arbeiten. Ziel soll ferner sein, Klimaneutralität bis 2030 zu erreichen. Finanziert werden soll dieses Programm, das Ausgaben von 800 Milliarden Euro jährlich vorsieht, durch die Europäische Investitionsbank (EIB), eine öffentliche Förderbank, die diese Art von Förderung in ihren Statuten festgeschrieben hat und jetzt schon über beträchtliche Mittel verfügt. „Green Bonds“ sollen zur Anlage mit einer moderaten, aber gesicherten Rendite die dauerhafte Finanzierung sicherstellen. Um keine Schieflagen innerhalb der europäischen Staaten zu verursachen, sollten Staaten in ganz Europa gleichermaßen von diesen Mitteln profitieren.
Woher kommt der Begriff Green New Deal?
Der Green New Deal (GND) bezieht sich auf den von Franklin D. Roosevelt geprägten Begriff „New Deal“, der – ausgehend von massiven Protesten der organisierten Arbeiterschaft gegen das Kapital – für die US-amerikanische Wirtschaft und Gesellschaft einen Neuanfang nach der ab 1929 einsetzenden Weltwirtschaftskrise bildete. Der „Green New Deal“ soll jetzt ebenfalls einen Neuanfang herbeiführen – eine ökologische und soziale Wende weg von einem Wirtschafts- und Industriesystem, das die Erderwärmung und den Klimawandel zur Folge hat und letztlich die Lebensgrundlagen der Menschheit auf der Erde vernichtet, hin zu einer nachhaltigen ressourcenschonenden Wirtschaft.
In welcher Welt wollen wir leben?
Mit der Klimakatastrophe steht die Welt vor einem Chaos ungeahnten Ausmaßes. Das Thema wird uns nicht loslassen. Dieser Beitrag dazu wird gewiss nicht der letzte sein. Es wäre großartig, wenn wir darüber miteinander ins Gespräch kämen.
Auch in politischen Parteien und Gewerkschaften werden interne und öffentliche Debatten zu Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe geführt. Bei einigen können sich auch Bürgerinnen und Bürger beteiligen. Eine Aussage von Wolfgang M. Schmitt, der „Die Politikanalyse“ im Rahmen der Youtube-Sendung „Jung & Naiv“ durchführt, ist beachtenswert. Er ruft dazu auf, das Klima-Thema „dringend zu politisieren, anstatt es der Wirtschaft zu überlassen. Denn nur im politischen Rahmen kann es wirklich gut und hilfreich für alle sein. Denn sonst kann es auch sein, dass genau das Gegenteil passiert: die Erde wird gerettet, aber viele Menschen nicht“.
Lasst uns nicht abwarten bis es zu spät ist. Schaut ab und zu auf die abends erleuchtete Uhr am historischen Gasometer in Berlin-Schöneberg. Von Fridays for Future veranlasst, zählt sie die Zeit, die uns zum Handeln noch bleibt, rückwärts. Lasst uns jetzt handeln und uns mit den vorliegenden Konzepten beschäftigen. Denn nur so können wir über Veränderungen mitbestimmen. Wir sollten das bald, wenn nicht sofort, tun und uns dabei anstatt des bangen Blicks auf das Wirtschaftswachstum von der Frage leiten lassen: In welcher Welt wollen wir leben?