von Dieter Küchler
Jeder von uns kann mit dem Begriff Geld etwas anfangen. Für Geld können wir (fast) alles kaufen. Wir brauchen es alle zum Gestalten unseres Lebens und im konkreten Bedarfsfall haben wir zu wenig davon.
Aber was ist eigentlich Geld?
Wikipedia beantwortet diese Frage wie folgt /1/:
„Geld ist jedes allgemein anerkannte Tausch- und Zahlungsmittel. Es bestehen unterschiedliche Geldformen, vor allem Bargeld (Geldmünzen und Banknoten) und der Zahlungsanspruch einer Nichtbank gegenüber einer Bank (Buchgeld bzw. Giralgeld). Das in der Währungsverfassung eines Landes als gesetzliches Zahlungsmittel bestimmte Geld bezeichnet man als Währung.“
Ich gebe zu, viel weiter hat mich diese Antwort der Wikipedia nicht gebracht. Geld als Tauschmittel? Ein Tausch setzt aber, ebenfalls laut Wikipedia /2/ einen Wert bei den zum Tausch anstehenden Waren oder Dienstleistungen voraus. Aber Geld hat heute keinen nennenswerten Materialwert. Das wissen wir alle. Und ist damit logischerweise auch kein Tauschmittel.
Geld als ein Geschöpf der staatlichen Rechtsordnung
Eine andere Erklärung, was Geld ist, hat Georg Friedrich Knapp bereits vor 115 Jahren veröffentlicht /3/. Er bezeichnet Geld als ein Geschöpf der Rechtsordnung. Er schreibt: “Unsere Zahlungsmittel sind…. Zahlungsmarken. Sie (tragen) Zeichen, … die von der Rechtsordnung genau vorgeschrieben sind ….. Zum staatlichen Geldsystem gehören demnach alle Zahlungsmittel, mit denen man Zahlungen an den Staat leisten kann…. Die staatliche Akzeptation begrenzt also den Umfang des staatlichen Geldwesens.“
aus: Staatliche Theorie des Geldes, Georg Friedrich Knapp, Verlag Duncker & Humblot Leipzig 1905; hier Nachdruck Makroskop Mediengesellschaft mbH Wiesbaden 2018
Nach dieser Erklärung zwingt der Staat uns, seine Steuerzahler, ihre Steuern mit den von ihm festgelegten Zahlungsmitteln zu begleichen und damit zwingt er uns gleichzeitig, die staatlichen Zahlungsmittel zu akzeptieren. Diese unsere allgemeine Akzeptanz macht die Zahlungsmittel zu unserem Geld. Diese Erklärung kann ich verstehen.
Aber warum gehören diese einfachen Zusammenhänge von Georg Friedrich Knapp aus dem Jahr 1905 heute nicht mehr zu unserem Allgemeinwissen? Stattdessen solche nebulösen Erklärungen, wie die der Wikipedia? Dazu schreibt Steinhardt /4/: „(Georg Friedrich) Knapp zu lesen… bleibt ein probates Mittel gegen die Blindheit der meisten Ökonomen…. Da diese Blindheit aber ein wesentlicher Grund für die nun schon seit fast drei Dekaden tobende Krise der Ökonomik ist, bleibt Knapp als ein Aufklärer über geldtheoretische Zusammenhänge weiterhin unverzichtbar.“
Wenn Steinhardt recht hat, dann steckt in der einfachen Knappschen Definition von Geld große praktische Bedeutung. Welche sollte das sein?
Zunächst ergibt sich die Schlussfolgerung, dass der Staat der Herausgeber von Geld ist, und nur er verfügt über das Geld als sein Rechtsmittel. Damit besteht sofort ein wesentlicher Unterschied über die Verwendung des Geldes durch den Staat einerseits und die Verwendung des Geldes durch uns private Nutzer, egal ob Unternehmen oder private Bürger, andererseits. Der Staat kann also nichts mit der vielbeschworenen „schwäbischen Hausfrau“ und ihrer Geldverwendung zu tun haben.
Der Staat erzeugt das Geld – wo ist die Grenze?
Der Staat erzeugt das Geld und bringt es in Umlauf, indem er seine Ausgaben damit bestreitet. Er bezahlt mit dem Geld alle Waren und Dienstleistungen, die er als Staat benötigt bzw. für die er als Staat verantwortlich ist und bringt so sein Geld in Umlauf. Alle Bürger wollen dieses Geld haben, mindestens deswegen, um die auferlegten Steuern gegenüber dem Staat zu bezahlen. Und deshalb akzeptieren wir alle die Bezahlung unserer Arbeit auch durch private Arbeitgeber mit diesem Geld und ebenfalls den Kauf und Verkauf von Waren und Dienstleistungen in diesem Geld.
Die Frage ist, wieviel Geld kann der Staat denn überhaupt erzeugen, ohne dass eine Inflation droht?
Die Grenze der Geldmenge, die vom Staat erzeugt und bereitgestellt werden sollte, wird nach Knapp festgelegt durch die Menge an Waren und Dienstleistungen, die das Staatswesen im gleichen Zeitraum staatlich und privat erzeugen kann und die zum Erwerb durch uns Mitbürger und durch den Staat mit eben dieser Geldmenge zur Verfügung steht. Mehr Geld findet dann keine Ware mehr und die Preise werden steigen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Summe aller hergestellten Waren und Dienstleistungen betrug in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2018 3.436 Mrd. Euro. Das waren im Durchschnitt 41.342 Euro pro Einwohner.
Wir hören und lesen aber ständig, dass der Staat nur so viel Geld ausgeben kann, wie er als Steuern und Abgaben von seinen Unternehmen und Bürgern einnimmt. Die daraus entstehende sogenannte schwarze Null hat in Deutschland mittlerweile Gesetzeskraft. Die Steuereinnahmen der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2018 betrugen 713,6 Mrd. Euro und damit nur rund 21% des BIP. Da wir gegenwärtig auch noch frühere Staatsschulden abbezahlen, betrugen die tatsächlichen Geldausgaben des Staates 2018 nur 344 Mrd. Euro.
Ein gewaltiger Unterschied. Und welche Geldmenge gilt denn nun und wo kommen diese Unterschiede der Betrachtung her?
Sie kommen aus der historischen Entwicklung und Verwendung von Geld. In früheren Jahrhunderten war Geld aus Edelmetall und damit werthaltig und in Ländern, die kein zentrales Staatswesen darstellten, existierte der Wert des Geldes unabhängig. Jeder Herrscher konnte nur soviel Geld ausgeben, wie er über Steuern eintrieb oder sich in späterer Zeit zusätzlich von Bankern, wie zum Beispiel den Fuggern im 16. Jahrhundert, lieh.
In den sich seit dem 17. Jahrhundert herausbildenden zentralen nationalen Staaten wurde das Geld immer mehr zu dem von Knapp beschriebenen Rechtsmittel des Staates ohne eigenen Wert mit der Deckung durch die im Staat hergestellten Waren und Dienstleistungen. Damit änderte sich schrittweise die Form des Geldes von selbst werthaltig in die nicht werthaltige Form des Rechtsmittels.
Knapp selbst bezeichnete 1905 die Anhänger der Meinung, dass Geld unabhängig vom Staat einen eigenen Wert hat, als Metallisten bzw. Monetaristen.
Im Gegensatz dazu sind die Vertreter der staatlichen Theorie des Geldes seit Knapp die Chartalisten (Charta – Rechtsordnung).
Wenn aber der Staat nach Knapp sein Geld für seine Ausgaben als sein Rechtsmittel selbst erzeugt, dann braucht er zur Finanzierung ebendieser Ausgaben im Prinzip keine Steuern und keine sonstigen Anleihen von Irgendwem. Der Staat kann seine Ausgaben nach seiner politischen Zielsetzung gestalten, prinzipiell ohne Finanzierungsrisiken und erst recht ohne Berücksichtigung der berühmten schwarze Null.
Und dass wir heute in der modernen Welt in allen Ländern staatliches Geld verwenden, sehen wir aktuell gerade in den staatlichen Entscheidungen zur Finanzierung der negativen Folgen des Corona-Virus. Die Bundesrepublik Deutschland hat entschieden, zusätzlich bis zu 500 Mrd. Euro auszugeben, ohne dass Frau Merkel irgendeinen „Fugger“ vorher um Geld anbetteln musste. Und alle Verantwortlichen sind sicher, dass mit dieser Entscheidung auch keine Inflation droht, denn die tatsächliche Grenze der maximalen Gelderzeugung, das BIP, liegt ja seit vielen Jahren um ein Vielfaches höher.
Allerdings müssen EZB und EU auch einverstanden sein, denn die Bundesrepublik Deutschland hat ihr eigenes Hoheitsrecht zum Geld freiwillig an die EZB abgetreten. Da alle EU-Staaten aber das gleiche Corona-Problem haben, werden, anders als 2010 in Griechenland, diesmal die EU und die EZB zustimmen.
Geld noch genauso wie vor 500 Jahren?
Es entsteht nunmehr die Frage, warum behandeln die Makroökonomen in Westeuropa gegen die vorhandenen Tatsachen Geld noch wie im Mittelalter und erklären uns die Wirkung auch genauso. So lange und immer wieder, bis wir es alle glauben.
Der Grund liegt im seit über 40 Jahren herrschenden ökonomischen Mainstream, dem Neoliberalismus. Bekanntlich ordnen die Vertreter des Neoliberalismus seit Anfang der 70ziger Jahre den Markt als die zentrale, die Wirtschaft ordnende Kraft ein bei gleichzeitiger Reduzierung aller staatlicher Aufgaben. In der Folge ergab sich damit die fortschreitende Privatisierung möglichst aller Wirtschaftssubjekte, die bis heute anhält
Jetzt nun ist das Geld ein staatliches Rechtsmittel, und der Staat soll über das Geld verfügen und damit die größte wirtschaftliche Macht haben? Das verträgt sich nicht mit dem neoliberalen Mainstream und deshalb muss das alte monetäre Geldverständnis aus der Mottenkiste dafür herhalten. Am modernen staatlichen Geld als staatliches Rechtsmittel können die Mainstream-Ökonomen und neoliberalen Politiker nichts ändern, aber sie konnten erfolgreich die wahre Rolle des modernen Geldes vertuschen und vernebeln.
Beispielsweise tun sie so, als ob der Staat wie in grauen Vorzeiten zur Finanzierung seiner Aufgaben ausschließlich seine Steuereinnahmen benutzen kann. In Wahrheit erzeugt der Staat über seine Staatsbank jeden Monat zunächst sein Geld, das er zur Begleichung seiner Ausgaben benötigt und bezahlt damit seine Lieferanten und Angestellten. Damit schafft er überhaupt erst die Voraussetzung zur späteren Steuerzahlung. Die Steuern kommen dann später herein und werden als Geld vom Staat wieder eingezogen.
Sollte der Staat zur Finanzierung seiner Aufgaben mehr Geld benötigen, als er in Steuern erhält, wird er heute durch von der Politik geschaffene Verträge dazu gezwungen, sein eigenes Geld bei Banken zu borgen und dafür Zinsen zu zahlen, als ob er das wirklich müsste. Übrigens sind diese objektiv nicht erforderlichen aber politisch gewollten Verträge in verschiedenen kapitalistischen Ländern unterschiedlich hart geregelt. Am einfachsten können der kanadische Staat und der japanische Staat über ihr selbst geschaffenes Geld auch jederzeit verfügen.
Ihr Meisterstück im Verdrehen der Fakten haben die Vertreter der neoklassischen und neoliberalen Ökonomie in Westeuropa aber in der Definition von Schulden bei uns allen erreicht. Staatsausgaben über das Maß der Steuereinnahmen hinaus sollen auch mit modernem Geld Staatsschulden sein. Also genau wie vor 500 Jahren mit Metallgeld und eigenem Wert muss der Staat heute für seine Ausgaben über die Steuereinnahmen hinaus Anleihen bei Privatbanken auslösen, die dann vom Staat mit Zinsen zurückgezahlt werden müssen. /5/
Der Staat darf diese weiteren Ausgaben dann nicht mehr mit seinem modernen Geld über seine Staatsbank finanzieren Dazu wird er mit politisch gewollten Verträgen verpflichtet. Diese Zinsen des Staates sind übrigens Erträge der Vermögenden, welche die Staatsanleihen gekauft haben, oder sie sind Erträge der privaten Bankbesitzer, weil die Banken den Staat mit seinem eigenen Geld beliehen haben und sie die Zinsen dafür einstreichen. /6/
Und es wird zusätzlich im neoliberalen Mainstream darüber diskutiert, wie hoch die sogenannten Staatsschulden denn maximal sein dürfen, bevor sie, wie bei privaten Schulden auch, den Staat pleitegehen lassen. Und die willigen Theoretiker finden, dass bis 60% Staatsschulden der Staat noch funktioniert, aber über 90% Staatsschulden das Maximum überschritten ist, bei dem er nicht mehr funktioniert. Nach diesen Theorien wurden auch die Maastricht-Kriterien zum Euro ausgerichtet. Dass diese Theorien zu den sogenannten Staatsschulden einschließlich ihrer Maastricht-Kriterien zum Euro mit dem modernen staatlichen Geld und seiner Wirkung im modernen Nationalstaat nichts zu tun haben, sieht jeder, der die sogenannten realen Schuldenstände von hochentwickelten Ländern wie USA – mehr als 100% des erreichten BIP – und Japan – mehr als 237% des erreichten BIP – vergleicht. Solange die sogenannte Verschuldung in der Währung des Staates erfolgt, sind eben beim modernen Geld als Rechtsmittel keine negativen Effekte zu erwarten.
Das moderne Geld für den sozial orientierten Staat
Wir alle hören ständig, dass Geld ein knappes Gut sein muss, um den Wert des Geldes hoch zu halten. Nach Knapp gibt es ein Beispiel für die Sinnlosigkeit dieser Zielsetzung. Knapp vergleicht das Geld als Geschöpf der Rechtsordnung mit einem anderen Geschöpf der Rechtsordnung, welches wir alle kennen, nämlich mit Garderobenmarken. Auch hier wird der Wert der Marke rechtlich festgelegt als der Wert meiner Garderobe, die ich abgegeben habe. Diesen Wert zu erhöhen durch Verknappung der Garderobenmarken, zum Beispiel auf zwei Drittel der vorhandenen Garderobenhaken führt zu keiner Werterhöhung, sondern nur zur Unzufriedenheit der Gäste, denn ein Drittel von ihnen können ihren Mantel nun nicht mehr abgeben.
Genauso wie die Anzahl der Garderobenmarken sich am Platzangebot des Theaters orientieren, sollte sich die Menge des verfügbaren Geldes als Rechtsmittel des modernen Staates an den erzeugten und erzeugbaren Waren und Dienstleistungen orientieren.
Genau mit dieser Orientierung entwickelte John Maynard Keynes die Auffassungen vom modernen Geld weiter und fasste seine Erkenntnisse 1936 in seinem Hauptwerk „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“/7/ zusammen.
Er erkannte, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage die entscheidende Größe für Produktion und Beschäftigung ist und leitete die Aufgaben des Staates ab, diese gesamtwirtschaftliche Nachfrage mit eigenen staatlichen Nachfragen so zu ergänzen, dass Produktion und Beschäftigung zur Vollbeschäftigung führen. Damit schuf er die Grundlagen einer Ökonomie, auf deren Basis Präsident Roosevelt den berühmten amerikanischen New Deal erfolgreich organisierte und in der Folge die in der Depression von 1929 entstandene Arbeitslosigkeit beseitigte. /8/
In Deutschland fanden die Erkenntnisse von Knapp und Keynes zur Bewältigung der weltweiten Depression 1929 nicht den Weg in die praktische Politik, der eingeleitete klassische falsche Sparkurs führte nur immer tiefer in die Depression, und in der Folge der fatalen sozialen Verhältnisse versagte die Demokratie, und 1933 hatte Hitler die Chance, die Macht zu ergreifen.
Das Hitler-Regime wiederum nutzte die Erkenntnisse zum modernen Geld und finanzierte so skrupellos die Aufrüstung Deutschlands einschließlich der dazugehörigen Entwicklung der Infrastruktur in Deutschland.
Bei der erfolgreichen Entwicklung der bundesdeutschen Wirtschaft spielten dann die Ideen von Keynes eine wichtige Rolle. Es war der SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller, der 1967 mit seinem Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft wesentliche Keynes‘sche Lehren nach Deutschland holte./9/
Heute werden die Auffassungen vom modernen Geld nach Knapp und seiner Nutzung für Produktion und Beschäftigung nach Keynes von der modernen Geldtheorie (Modern Monetary Theory – MMT) vertreten. /10/
Dirk Ehnts, einer der heutigen Vertreter der MMT in Deutschland meint: „MMT ist eine wissenschaftliche Theorie darüber, wie Geld „funktioniert“ – wie es geschaffen und zerstört wird, wie es ausgegeben und eingenommen wird und was daraus für eine empirisch adäquate Theorie der Wirtschaft folgt.“ Er meint, dass die MMT deskriptiv ist, sie beschreibt, wie das moderne Geld funktioniert.
Zusammenfassend können wir feststellen, dass Geld chartal ist, es wird vom Staat proklamiert für Zahlungen an den Staat. Bequemerweise nutzen wir Bürger dieses Geld des Staates dann auch für alle Zahlungen untereinander. Die Banknote ist ein Zahlungsversprechen, lautend auf Geld. Einen Wert des Geldes gibt es nicht – im Unterschied zur falschen Auffassung des Metallismus. Die Deckung des Geldes erfolgt durch die bestehenden Ressourcen des Staates und seiner Bürger, also der bestehenden Produktion und Beschäftigung, nicht durch Gold.
Praktisch bedeutet das, dass der Staat die vordringliche Aufgabe hat, die beste Verwertung der vorhandenen Ressourcen an Produktion und Beschäftigung mit dem von ihm geschaffenen Geld zu organisieren und zu entwickeln und nicht umgedreht, nur die Ressourcen zu entwickeln und zu nutzen, für die er die zuvor künstlich begrenzte Geldmenge bereitstellen will.
Insofern war beispielsweise die Abwicklung von 80 % der produktiven Ressourcen Ostdeutschlands nach der Wiedervereinigung mit dem Hinweis auf begrenzte finanzielle Ressourcen ein eklatantes Staatsversagen mit langfristigen negativen Folgen für uns alle.