November 1, 2024

Identität und Solidarität

bei uns  oppositionellen „Linken“

von Karl Mahlstedt

Identität und neoliberale Individualisierung

Auch wir „Linke“ sind weit mehr von neoliberaler Individualisierung infiziert, als wir es oft selbst wahrhaben wollen.  – Selbstredend merken Andere das meist eher als wir selbst.

Individualisierung heißt, Unterschiede zu anderen zu markieren, um der eigenen Unverwechselbarkeit willen. Bei uns „Linken“ braucht man hier insbesondere eine unverwechselbare politische Identität, die hinreichend wettbewerbsfähig ist, um sich sodann „ins kommunikative Getümmel“ zu stürzen, insbesondere virtuell aber nicht nur.

Wobei man selbstverständlich seine selbst konstruierte Identität für die bestmögliche hält, logisch, sonst wäre es ja nicht die EIGENE Identität.

Im „kommunikativen Getümmel“ wird man sodann auf Andere treffen, die ähnlich ticken, aber eben nicht vollidentisch. Hier wird jetzt die noch bestehende Differenz als Defizit beim Anderen identifiziert, denn die eigene Identität ist ja schließlich die beste.

Jetzt kommt es darauf an, den Anderen zu belehren (was notwendigerweise misslingt, weil der Andere eben auch seine Identität für die bestmögliche hält) und nach diesem Misslingen den Anderen wegen seiner „Denkfehler“ öffentlich bloßstellen und damit sogleich sich selbst und anderen die Richtigkeit der eigenen Auffassungen zu bestätigen.

Dies hochgerechnet auf Viele ergibt dann ein allgemeines gegenseitiges Belehren oder sogar Beleidigen oder Beschimpfen, wobei allgemeine Rechthaberei das alles steuert. Das Ergebnis: allgemeine politische Handlungsunfähigkeit, an der selbstverständlich die zu dummen Anderen schuld sind

Die Alternative: Identität und linke Solidarität

Stattdessen käme es darauf an, sich in kommunikativen Prozessen auf die Schnittmengen bei ähnlicher, aber nicht identischer Identität zu konzentrieren, um so gemeinsam handlungsfähig zu werden.

Dabei sollte man keinesfalls die Besonderheiten der eigenen politischen Identität aufgeben. Nur steht deren Debatte zunächst nicht an erster Stelle.

Auf dem soliden Fundament gemeinsamer politischer Aktivität, sollten dann allerdings auch irgendwann die Unterschiede zur Sprache kommen. Da niemand derzeit einen Masterplan hat, wie wir bestehende kapitalistische Verhältnisse umstürzen können, halte ich Differenz eher für eine Stärke, eine Ressource, die wechselseitige Lernprozesse provozieren kann.

Nur müssen wir dazu unsere Differenzen anders diskutieren: die eigene Identität dabei auch zur Disposition stellen, in der Erwartung, sie vielleicht auch gegen eine bessere auswechseln zu können, was vor allem die Fähigkeit zum ZUHÖREN voraussetzt.

Unverwechselbare Individualität sollte man deswegen nicht aufgeben, nur die beste Selbstverwirklichung ist, diese in politische Zusammenhänge einzubringen und diese durch die jeweils eigenen speziellen Fähigkeiten und Möglichkeiten zu stärken und zu bereichern.

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