März 28, 2024

Freiheit in Solidarität

von Andreas Butt-Weise

Am Freitag, den 28.08.2020, veranstaltete Aufstehen Berlin Schöneberg gemeinsam mit der AG Aktionen eine Veranstaltung zum Thema: „Corona – die neue Spaltung“.

Das Thema des Abends war angedacht, weil es als unerlässlich empfunden wurde, angesichts der immer größer werdenden Zahl der gegen die Corona-Maßnahmen Protestierenden Position zu beziehen.  In mehreren Beiträgen wurden zwei diskussionswürdige Fragen deutlich: einerseits, ob die zunehmende Zahl der Teilnehmer und ihr Protestpotenzial nicht nur aus Rechtsextremisten bzw. Neonazis bestehen würde und andererseits, wie dieses Potenzial für eine „linke“ bzw. emanzipatorische Politik zu gewinnen wäre.

Es war eine gewisse Beunruhigung zu spüren, wenn man sich bei diesen Kundgebungen raushalten würde, es „verpassen“ würde, den Schwung der Rebellion  mit aufnehmen zu können.

Die folgende Frage sollte für eine einheitliche Linie von Aufstehen-Berlin geklärt werden:

Abgrenzung oder Bereitschaft zur Kommunikation

Natürlich ist durchaus Skepsis gegenüber den aktuellen Einschränkungen der Bürgerrechte berechtigt und die Befürchtung, dass diese auch anderen politischen Zielen der staatlichen Legislative dienen, ein nachvollziehbares Motiv, um auf diese „Querdenker“-Demos zu gehen.

Auch wenn diese „Mitläufer“, von Hippies bis Hooligans, auf diesen Demonstrationen durchaus heterogen sind, sind doch ihre Reden, Transparente und ihre Reaktionen auf (berechtigte) Kritik oder gar Provokationen durchaus homogen.

Was ist der gemeinsame Nenner? Oberflächlich wird hier gegen Beschränkungen der Bürgerrechte demonstriert, weil sie als Drangsalierung empfunden werden.

Bedenkt man, dass genau diese Maßnahmen gegen die Pandemie, die, weil sie durch die „Gehorsamkeit“ der Bevölkerung /1/ eingedämmt werden konnte, nicht in ihrer potentiellen Gefahr zum Ausbruch kam, wie im Übrigen in anderen Ländern der Welt, macht diese „Befindlichkeit“ der Beschränkung in ihrer Absurdität besonders deutlich.

Untergründig werden von den Teilnehmern der Demonstrationen diese Maßnahmen als Missbrauch „dubioser Mächte“ wahrgenommen.  Diese Wahrnehmung muss als ein Symptom der Entfremdung der Protestbewegung von unserem Gesellschaftssystem ernst genommen werden.

In einem solchen Misstrauen gegenüber dem Staat und seinen Institutionen sowie der „dritten Gewalt“ im Staate, den Medien, drückt sich ein „postdemokratisches“ Verständnis aus. Die Aushöhlung der demokratischen Institutionen durch den Neoliberalismus  und die marktkonforme Ausrichtung der derzeitigen parlamentarisch-demokratischen Politik findet in deren Demokratieverständnis ihren Widerhall.

Nichts ist mehr wahr, weil alles manipuliert ist!

Das ist der „Kitt“, der diese Demonstranten zusammenhält.

Ein autoritäres und identitäres Verständnis von Gesellschaft offenbart sich in der artikulierten Ideologie, z.B. die Selbststilisierung als Holocaust-Opfer (durch das Tragen des „gelben Sterns“) ist nicht nur eine geistlose Anmaßung, sondern macht eine Holocaust Relativierung bzw. –Leugnung sichtbar, die eine Annäherung in Gesprächen verbietet! Ein anderes Beispiel: die Behauptung, die Corona-Maßnahmen wären mit einem Ausnahmezustand bzw. der Aussetzung demokratischer Prinzipien erreicht, es herrsche eine „Corona-Diktatur“, ein „faschistisches Regime“, relativiert ebenfalls unsere Vergangenheit auf übelste Art und Weise.

Beachtung finden sollte der Hinweis auf die Veranstalter der Hygienedemonstrationen, ihre Unterstützer und Hintermänner in den sozialen Netzwerken, von der AfD über die „Identitären“, die NPD und „der Dritte Weg“ sollte jedem deutlich gemacht haben, dass es bei diesen Ideologiefragmenten und „Verschwörungstheorien“ nicht um Ausnahmefälle oder unbedachte Äußerungen handelt, denen man mit Argumenten begegnen kann.

Auffällig bei diesen „Querdenker-Demonstrationen“ ist, und das wurde auch in unserer Diskussionsveranstaltung deutlich, dass die Demonstranten nur ein Problem mit ihrer eigenen eingeschränkten Freiheit haben – im Übrigen ein rein „liberales“ Problem – und keines mit den sozialen Folgen der Pandemie. Denn die Verneinung der Gefahren für Leib und Leben eines Anderen ist das Wiederaufleben eines menschenfeindlichen Gedankengutes: es ist der blanke Sozialdarwinismus des letzten Jahrhunderts!

Es gibt keinen Aufschrei, dass es mit dem Lock-Down zu schlagartigen Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt gekommen ist. Hierzu einige Daten: die Zahl der bedürftigen Arbeitsmarktteilnehmer (Arbeitslosen, Geringverdiener, „Aufstocker“) hat sich auf 9 Millionen von 31 Millionen Beschäftigten erhöht, wir haben 9,4 Millionen unter der Armutsgrenze lebende Rentner von 21 Millionen Rentnern – ein Viertel (23,8 Prozent) der Rentner – fast fünf Millionen Menschen – bekommt sogar weniger als 500 Euro /2/ -, und kleine und mittlere Betriebe sind in der Corona-Krise am stärksten betroffen, weil sie geringe Zuschüsse oder, wenn überhaupt nur Kredite bekommen, obwohl sie für 57% aller Arbeitsplätze sorgen – in Berlin sind es 90%! Ein Thema, dem wir uns von Aufstehen-Berlin in den nächsten Wochen und Monaten weiterhin intensiv widmen werden.

Zum Schluss der Veranstaltung wurde die Frage gestellt, wie und mit welchem Slogan diesen Veranstaltungen gegen die Corona-Maßnahmen begegnet werden könne. Die Antwort auf den deutlich vor sich hergetragenen Slogan eines unsolidarischen Grundgedankens war schnell gefunden: Freiheit gibt es nicht ohne Solidarität!

Freiheit nur in Solidarität!

Und das gegenüber den Schwachen und Schwächsten unserer Gesellschaft!

6 Gedanken zu “Freiheit in Solidarität

  1. Es ist in unserer aufgeheizten und durch exzessiven Medienkonsum geprägten Zeit kein Wunder, dass sich “kritische Geister” zum Schutz und zur Wahrung ihrer eigenen Interessen zusammenschließen. Der vielleicht gut gemeinte aber schlecht kommunizierte Versuch eines Verbots der Hygiene-Demo durch den Innensenator Geisel hat ihnen zusätzlich einen Märtyrerstatus verliehen und leider die Polarisierung in der Bevölkerung vorangetrieben.
    Zu den gewonnenen Erkenntnissen, die ich voll unterstütze, nämlich dass Freiheit mit Solidarität verbunden sein muss, füge ich hinzu, dass die Corona-Pandemie auch eine Hinwendung zu Veränderungen bedeuten könnte. Statt zu beklagen, was alles nicht geht, könnten wir vielmehr darüber nachdenken, ob wir wirklich genauso weitermachen wollen wie vor der Krise. Ist die Rückkehr zur “Normalität” wirklich wünschenswert oder sollten wir die Gelegenheit nutzen, uns von Ballast zu befreien? All die Probleme, die unter Corona besonders sichtbar wurden, wie z.B. die in der Bildung, Gesundheit, Mobilität, Migration, Klima, die immer größer werdende Schere zwischen Arm und Reich, die zunehmende Kinderarmut, die immer dichter werdende Arbeitsbelastung, die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie und bei Erntehelfern, können wir die nicht eher aus einer etwas eingeschränkten Lebensweise heraus in Angriff nehmen als in der “Normalität”? Nutzen wir doch diese Zeit zur Besinnung, was wirklich wichtig ist und wie wir leben wollen. Wirtschaftlich sollten wir natürlich ein gutes Leben führen können, vielleicht aber auch mit weniger Wachstum und einer Vision über eine andere Art von Wohlstand. Sich darum zu kümmern, lohnt sich für Aufstehen ganz gewiss!

  2. Ich weiss nicht wie ich es ausdrücken soll, ich finde im Artikel ist es sehr treffend gelungen, die sogenannten Querdenker zu entlarven und auch wie die eigentlichen Themen getroffen bzw. benannt sind, die nicht nur in der Corona-Zeit aktuell sind, sondern nur momentan noch spürbarer. Die Wichtigkeit der Sozialen Frage, des Ausgleichs zwischen Verdienenden und Ausgebeuteten. Es gefällt mir sehr, wie deren Geheuchel über Freiheitsbegrenzung entkräftet und darauf hingewiesen wird, wie Vergleiche dieser “Protestbewegung” mit der deutschen Geschichte falscher nicht sein können. Ein Artikel mit analytischem Blick, Sichtweisen, die ich teile. Euer Tun, politisches Engagement auf der richtigen Seite, ist vorbildlich und tut meiner Seele gut.
    Danke

  3. Die Problematisierung von Protestteilnehmenden ist im einzelnen richtig. Der Kommentator betrachtet das jedoch als Außenstehender. Ich frage mich, warum werden die hier gelieferten Ergebnisse nicht reingetragen in die Protestbewegung. Keine(r) verbietet das. Zugehörig zur Protestbewegung sind Personen, Ärzte, Juristen, alternative Journalisten, linke Autoren, Künstler, die Aufklärung betreiben. Sie werden gehört, gelesen und als Redner eingeladen. Menschen, die sich politisieren, sind vielleicht nicht auf der Höhe eurer politischen Entwicklung. Es ist aber wie auf den Montagsmahnwachen. Man fragte immer wieder nach Teilnahme, Reden z.b. aus der Friko. Wer von den Diskutierenden hier noch nicht begriffen hat, was z.Z. an Demokratieabbau betrieben wird, wie eine Konzentration der westl. kapitalist. Machtstrukturen voranschreitet, die alle sozialen Verwerfungen in den Industrieländern und Ländern des Südens zu verantworten hat, ist in der Weise überheblich, nämlich der Protestpotenz mit Überheblichkeit zu begegnen und ihr nur individuelle, bürgerliche, unverantwortliche Beweggründe zu unterstellen. In einer Größe von Demonstration wie am 29.8. mit so vielen Teilnehmern wie 2003 gegen den drohenden Irakkrieg ist das Abseitsstehen von Linken gerade bestimmten Kräften willkommen. Von wem wohl? Gleichgeschaltete Medien (auch junge Welt, ND) bringen solche Argumente wie in der Diskussion der Teilnehmer genannt, damit man sich fernhält. Antifa tut das Ihrige.
    Hier ein Interview mit Paul Schreyer, dessen Buch “Chronik einer angekündigten Krise” ich auch empfehle, Futter genug für Linke: https://kenfm.de/im-gespraech-paul-schreyer-corona/ Ein Beitrag von vielen, der innerhalb der Protestbewegung Interesse und Aufnahme findet. Nehmt teil und bringt deutliche Aussagen auf Schildern mit. Korrigiert auch die anzutreffende pauschale Negativ-Betrachtung der DDR. Fordert all das, was ihr in diesem Corona-Komplex und seinen Maßnahmen aus linker Sicht zurück weist, aber informiert euch, z.B. über das Infektionsschutzgesetz (dem eine ganze road map zu Grunde liegt, siehe Norbert Häring) und guckt euch die Corona-Ausschüsse an https://corona-ausschuss.de/ Ja, die Zeit ist dramatisch und hat eine unglaubliche Dynamik hinsichtlich Demokratieabbau und hin zur Transformation. Wohin? Rührt euch und bleibt nicht stehen in der Kritik, was andere falsch machen.

    1. Wer sagt denn, dass die Hygiene-Proteste nicht in unsere Bewegung reingetragen werden? Sonst hätten wir ja keine Veranstaltung zu diesem Thema gemacht. Trotzdem behält jede und jeder seine Meinung. Da sie nicht einheitlich ist – und das kann sie in einer Demokratie kaum sein – kann sich eigentlich auch niemand im Namen von Aufstehen an Corona-Protesten beteiligen – nur aus eigenem Antrieb.
      Ich persönlich möchte nicht in einem Land leben, in dem das Versterben von Menschen, auch nicht von älteren (an oder mit Corona!) allen egal ist. Für mich ist es eminent wichtig, dass wir auch an diejenigen denken, die zu den Risikogruppen gehören und mit für ihren Schutz sorgen. Auch die Jüngeren können nicht sicher sein, dass das Virus ihnen nichts Schwerwiegendes anhaben kann.
      Ich beobachte schon seit längerem einen schleichenden Demokratieabbau, auch eine zunehmende Überwachung. Das alles aber nicht erst seit Corona, sondern u.a. seit wir den großen Tech Konzernen den roten Teppich ausgerollt haben und sie sich bei uns so breit gemacht haben, so dass sie nicht mehr wegzudenken sind. Sie „bedanken“ sich bei uns, indem sie kaum Steuern zahlen und Gewerkschaften (Betriebsräte) aus ihren Unternehmen raushalten. Demonstriert wird aber gegen das Maskentragen!

  4. Hier (falls überhaupt erlaubt) auch mal eine anderslautende Meinung – auch wenn nicht jeder sie gerne hören mag:

    Aufstehen hat es nach meiner Meinung seit der Gründung nicht wirklich geschafft eine eigene Identität und ein eigenes Profil zu erschaffen. Frage ich jemanden ob er oder sie #aufstehen kennt, heißt es nur “Ja, das war doch mal dieser Verein von Sarah Wagenknecht, oder?”.

    Anstatt endlich aktiv zu werden, diffamiert man lieber andere Gruppierungen die es wirklich schaffen die Menschen verschiedenster Schichten gegen die Aushöhlung der Demokratie, der Grund- und Menschenrechte zusammenzubekommen (während ich hier das Wort Grundrechte tippe, fühle ich mich fast schon ein bisschen rechts).

    Vom Arbeiter, über Bauern, einfache Handwerker, Familien mit Kleinkindern, Jugendliche, Asylanten, Arbeitslose und Rentner bis zu Beamten wie Polizisten, Lehrer und sogar ehemalige Soldaten finden sich alle Bevölkerungsschichten auf diesen Demos. Und ja, die dürfen auch alle kommen denn keiner wird diskriminiert wenn es darum geht die Demokratie zu verteidigen. Gegen extremes Gedankengut von rechts und links grenzt man sich dort jedoch deutlich ab.

    Diese aktiven Menschen die für eine bessere Zukunft auf die Straße gehen nun als rechts, verschwörungsideologisch, antisemitisch oder neoliberal abzutun und ihnen auch noch ein fehlende Demokratieverständnis nachzusagen zeigt viel mehr über die Ideologie hinter #aufstehen als über die besorgten Teilnehmer der kritischen Proteste gegen die Corona-Verordnungen.

    Der Zündfunke von #aufstehen hat bisher kein Feuer entfacht. Zum #aufstehen gehören nämlich auch das #loslaufen und #anpacken.

    Ich finde #aufstehen manövriert sich mit solchen Artikeln ins bedeutungslose Abseits und verliert fast unbemerkt seine Mitglieder und Fürsprecher. Was unter Sarah mal sehr positiv und schwungvoll begann schwindet nun langsam dahin. Sehr schade eigentlich!

    1. Die Ziele von Aufstehen sind im Gründungsaufruf festgehalten (https://aufstehen.de/web/gruendungsaufruf/). Eine eigene Identität, ein eigenes Profil stand bei Aufstehen nicht im Vordergrund. Wir wollten immer eine linke Sammlungsbewegung mit vielfältigen Meinungen (und keine Partei) sein und bleiben. Unser „Geschäft“ ist die Auseinandersetzung, die Diskussion, Debatte oder der Streit mit Anderen; Diffamierung hat bei uns keinen Platz. Konträre Meinungen sind erlaubt, ja, sogar erwünscht. Sonst hätten wir keine Gelegenheit, unsere Argumente auszutauschen.
      Auf der Webseite http://www.aufstehen-berlin.org reichen Autoren ihre Beiträge ein. Wenn sie keine beleidigenden oder rassistischen Elemente enthalten und unseren in einem Leitfaden festgelegten Bedingungen entsprechen, wird der Text angenommen und bearbeitet. Das heißt also, die Autoren sprechen für sich selbst; sie präsentieren ihre persönlichen Positionen zu bestimmten Themen. Sie sind nicht die Sprecher der Bewegung.
      Auf diese Weise wollen wir eine lebendige Bewegung bleiben. Auch zu Corona und den Maßnahmen haben wir bei aufstehen sehr unterschiedliche Auffassungen. Auch schon vor Beginn der Pandemie habe ich mir sorgenvolle Gedanken über die Einhaltung der Grundrechte gemacht. Da ich das Risiko einer möglicherweise sehr folgenreichen Erkrankung für viele Menschen, einschließlich meiner Person, minimieren möchte, habe ich nach reiflicher Überlegung meine Prioritäten auf die Einhaltung der Hygieneregeln gesetzt. Dadurch sehe ich meine Grundrechte nicht wirklich eingeschränkt.
      Ich bin aber nach wie vor auf der Hut vor Einschränkungen unserer Freiheit, die für mich wenig oder nicht nachvollziehbar sind. Besonderes Augenmerk richte ich auf eine mögliche Ausweitung von Überwachungsfunktionen, die ja bereits vor Corona für das Aufspüren unserer persönlichen Verhaltensweisen im Internet gedient haben, und die jetzt für die Nachverfolgung von Erkrankten hilfreich wäre. Ein neues Gesetz sollte uns alle in Alarmbereitschaft versetzen. Dagegen sollten wir uns mit allen unseren Möglichkeiten wenden! Das Maskentragen, das zudem uns und andere vor dem Virus schützen kann, ist dagegen nur Pillepalle!

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